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BFH: Umsatzsteuerbefreiung für Leistungen eines Präventions- und Persönlichkeitstrainers

  1. Erziehung von Kindern im Sinne des Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL bezieht sich auf die planmäßige Tätigkeit zur körperlichen, geistigen und sitt­li­chen Formung junger Menschen zu tüchtigen und mündigen Menschen.
  2. Die Tätigkeit eines Präventions- und Persönlichkeits­trainers kann diese Vo­raus­setzungen erfüllen.
  3. Bei Fehlen eines förmlichen Anerkennungs­verfahrens kann jedenfalls dann von einer Einrichtung mit von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannter gleicher Zielsetzung ausgegangen werden, wenn die Einrichtung in der Ge­samt­heit ihrer unternehmerischen Zielsetzung auf die Erziehung von Kindern und Jugendlichen ausgerichtet ist.

UStG § 4 Nr. 21
MwStSystRL Art. 132 Abs. 1 Buchst. i

BFH-Urteil vom 30.4.2025, XI R 5/24 (veröffentlicht am 28.8.2025)

Vorinstanz: FG Berlin-Brandenburg vom 17.1.2024, 7 K 7342/16 = SIS 24 08 21

I. Die Sache befindet sich im zweiten Rechtsgang.

Streitig ist, ob der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) im Rahmen seiner Tätigkeit als Präventions- und Persönlichkeitstrainer im Jahr 2010 (Streitjahr) steuerfreie Umsätze ausgeführt hat.

Der Kläger ist Präventions- und Persönlichkeitstrainer und Mitglied des Vereins B. Der Kläger beschrieb seine Tätigkeit auf seiner Homepage wie folgt: "…" Zum Organisationsablauf der Kurse an Schulen hieß es auf der Homepage: "…"

Außerdem lässt ein Ausdruck der Homepage erkennen, dass der Kläger als "Teamleiter" auftrat, und es wurden neun weitere, in seinem Team tätige Kursleiter für verschiedene Kursarten (Kinderbewegungsprogramm neben wei­teren Sport- und Bewegungsangeboten eines Kooperationspartners, Präventi­onstrainings im Kindergarten, in der Grundschule und in weiterführenden Schulen, Persönlichkeitstrainings für Frauen und für ältere Leute, Erziehungs­seminare für Eltern) vorgestellt. Die Kursgebühren wurden mit … € pro Teil­nehmer für die verschiedenen, jeweils insgesamt sechs Stunden umfassenden Kursangebote angegeben. Der Steuerberater des Klägers erklärte gegenüber dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt ‑‑FA‑‑), der Kläger werde wohl von den jeweiligen interessierten Eltern beauftragt. Die Rechnungen er­stelle der Kläger dann wohl gegenüber den jeweiligen Eltern, die ihn dann be­zahlen würden. Er selbst erklärte gegenüber dem FA, dass die Abrechnung gegebenenfalls direkt mit den Eltern erfolge, ansonsten über die Schule. So­fern die Eltern die "Gebühr" beglichen, erfolge dies gegen einen Zahlungsbeleg beziehungsweise per Überweisung.

Der Kläger reichte für das Streitjahr am 04.01.2011 eine Umsatzsteuererklä­rung ein. Darin erklärte er Leistungen zu 19 % in Höhe von … € und zu 7 % in Höhe von … € sowie Vorsteuern in Höhe von … €, so dass … € an Umsatzsteuer 2010 erklärt wurden. Es gab im Streitjahr Klas­senprojekte und sogenannte "offene Kurse". Nur bei den Klassenprojekten fanden die Kurse während der Unterrichtszeiten statt und die Teilnahme war verpflichtend. Am 09.12.2014 beantragte der Kläger unter anderem, die Um­satzsteuerfestsetzung für das Jahr 2010 zu ändern. Seine Umsätze für Kon­fliktpräventionskurse an Schulen seien nach § 4 Nr. 21 des Umsatzsteuerge­setzes (UStG) in der im Streitjahr geltenden Fassung (a.F.) steuerfrei. Das FA lehnte den Antrag mit Bescheid vom 29.03.2016 ab.

Dagegen legte der Kläger zunächst Einspruch ein. Am 24.12.2016 erhob er Klage. Im Klageverfahren erließ das FA am 26.07.2017 die Einspruchsent­scheidung gegen den Ablehnungsbescheid. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage durch Urteil vom 14.08.2019 ‑ 7 K 7342/16 (Entscheidungen der Fi­nanzgerichte ‑‑EFG‑‑ 2020, 1101) ab. Die Klage sei zwar als sogenannte Untä­tigkeitsklage gemäß § 46 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zu­lässig, aber unbegründet. Das Gericht könne nicht feststellen, dass die vom Kläger erklärten Umsätze steuerfrei seien. Die Leistungen des Klägers seien nicht nach § 4 Nr. 21 Buchst. a oder b UStG a.F. steuerfrei. Ebenso könne sich der Kläger nicht auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (Mehr­wertsteuersystemrichtlinie ‑‑MwStSystRL‑‑) berufen. Es fehle bereits an der Qualifizierung als Schul- und Hochschulunterricht im Sinne dieser Vorschrift. Dies gelte auch für die Befreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL. Außerdem schulde der Kläger die Umsatzsteuer für den weit überwiegenden Teil seiner Umsätze gemäß § 14c Abs. 1 UStG.

Mit seiner ‑‑durch Beschluss vom 05.02.2020 ‑ XI B 94/19 teilweise zugelas­senen‑‑ Revision wandte sich der Kläger im zugelassenen Umfang gegen die Besteuerung der verbleibenden Umsätze (… €). Er rügte die Verletzung von § 4 Nr. 21 Buchst. b Doppelbuchst. aa UStG a.F. Überdies ergebe sich die Steuerbefreiung aus Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL.

Mit Urteil vom 15.12.2021 ‑ XI R 3/20 (BFHE 275, 427) hob der erkennende Senat das angefochtene Urteil wegen Umsatzsteuer 2010 auf und verwies den Rechtsstreit an das FG zurück. Der Senat nahm an, dass eine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. aa UStG a.F. nicht gegeben sei, weil der Kläger weder als Ersatzschule genehmigt oder nach Landesrecht erlaubt worden sei, noch eine § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb UStG a.F. ent­sprechende Bescheinigung vorgelegt habe. Auch eine Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 21 Buchst. b Doppelbuchst. aa UStG a.F. komme nicht in Betracht, da die streitigen Leistungen nicht unmittelbar dem Schul- und Bildungszweck dienten. Eine Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL in Bezug auf den Schul- und Hochschulunterricht komme nicht in Betracht, da die hier streitigen Präventionskurse als spezialisierter und punktuell erteilter Un­terricht keinen Schul- und Hochschulunterricht darstellen würden. Der Senat verwies die Sache aber zurück an das FG, damit es der Frage nachgehen kann, ob eine Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL (zuvor Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17.05.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ‑ Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage [Richtlinie 77/388/EWG]) eingreife, weil die Präventionskurse des Klägers als "Erziehung von Kindern und Jugendli­chen" im Sinne dieser Bestimmung anzusehen sein könnten. Soweit das FG den An­wendungsbereich als erfüllt ansehe, seien weitere Feststellungen dazu zu tref­fen, ob der Kläger die personellen Voraussetzungen des Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL erfülle. Weiterhin sei zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL erfüllt seien. Die Bestimmung sei unionsrechtskonform dahingehend auszulegen, dass steuerfrei die Unterrichtseinheiten seien, die sich auf Schul- und Hoch­schulunterricht beziehen würden (vgl. z.B. Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union ‑‑EuGH‑‑ Eulitz vom 28.01.2010 ‑ C‑473/08, EU:C:2010:47, Rz 21 ff.). Davon könne im Streitfall möglicherweise auszugehen sein, da die Leistungen des Klägers nicht mit Bezug zu einem spezialisierten Unterricht (wie z.B. in einer Fahr‑, Segel- oder Schwimmschule oder Ähnlichem) erbracht würden, sondern sich unter anderem auf den Unterricht in Grundschulen und an weiterführenden Schulen beziehen. Der Kläger könne außerdem nach den bisherigen tatsächli­chen Feststellungen des FG ein Privatlehrer im Sinne dieser Vorschrift sein.

Das FG hat im zweiten Rechtsgang mit Urteil vom 17.01.2024 ‑ 7 K 7342/16 (EFG 2024, 1063) der Klage stattgegeben. Das FA habe die Umsätze des Klä­gers im noch streitigen Umfang zu Unrecht als steuerpflichtig angesehen. Die Umsätze des Klägers seien nicht gemäß Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL steuerfrei. Zwar liege bei den Präventionskursen des Klägers ein Bezug zu Schul- oder Hochschulunterricht vor; jedoch sei der Kläger nicht als Privatleh­rer tätig geworden. Es fehle an einem Nachweis dafür, dass er einige der Kur­se tatsächlich selbst durchgeführt habe. Der Kläger könne sich aber auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL (zuvor Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG) berufen. Die noch streitigen Leistungen seien unter den Begriff "Erziehung von Kindern und Jugendlichen" zu subsumieren. Der Kläger erfülle auch die personellen Voraussetzungen des Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL.

Mit der Revision macht das FA geltend, dass sich der Kläger nicht auf die Mehrwertsteuersystemrichtlinie berufen könne. Eine Berufung auf das Unions­recht sei nur möglich, wenn dieses auf innerstaatlicher Ebene nicht hinreichend umgesetzt worden sei beziehungsweise es an einer nationalen Steuerbefreiungsvorschrift gänzlich fehle. Dies sei aber vorliegend nicht der Fall. Der deutsche Gesetzgeber habe für die Art der vom Kläger gegebenen Kurse ausreichende Befreiungsmöglichkeiten vorgesehen, so dass eine Beru­fung auf die Mehrwertsteuersystemrichtlinie nicht eröffnet werde. Der Bundes­finanzhof (BFH) habe in seiner bisherigen Rechtsprechung zur Steuerbefreiung im Bereich der Kinder- und Jugenderziehung eine richtlinienkonforme Ausle­gung des § 4 Nr. 23 UStG a.F. vorgenommen. Mit diesem Vorbringen habe sich das FG in den Entscheidungsgründen nicht auseinandergesetzt.

Überdies lägen die Voraussetzungen des Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL nicht vor. Die Leistungen des Klägers fielen nicht unter den Begriff der "Erzie­hung von Kindern und Jugendlichen" im Sinne des Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL. Die Begriffe, mit denen die Steuerbefreiungen des Art. 132 MwStSystRL umschrieben seien, seien eng auszulegen. Offen bliebe, ob eine altersgerechte Sprach- und Wissensvermittlung im Rahmen der vom Kläger angebotenen Kurse anzunehmen sei. Es bestünden Zweifel, ob bei einer so kurzen Dauer der Kurse ein Erziehungszweck ‑‑wie beispielsweise die Willens- und Charakterbildung‑‑ erreicht werden könne. Überdies sei der Kläger keine andere Einrichtung, die als Einrichtung mit vergleichbarer Zielsetzung aner­kannt worden sei.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt sinngemäß, die Revision als unbegründet zurückzuwei­sen.

II. Die Revision ist unbegründet; sie ist daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Das FG hat ohne Rechtsfehler erkannt, dass die Umsätze des Klägers nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL steuerfrei sind. Die zwei kumulati­ven tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL (vgl. EuGH-Urteil Happy Education vom 28.04.2022 ‑ C‑612/20, EU:C:2022:314, Rz 29) liegen im Streitfall vor. Bei den Tätigkeiten des Klä­gers handelte es sich zum einen um eng mit der Erziehung von Kindern und Jugendlichen verbundene Dienstleistungen im Sinne von Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL (dazu unter 2.). Zum anderen sind auch die personellen Voraussetzungen dieser Norm erfüllt (dazu unter 3.).

1. Nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL sind die Erziehung von Kindern und Jugendlichen und damit eng verbundene Dienstleistungen steuerbefreit, wenn sie durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit solchen Aufga­ben betraut sind, oder andere Einrichtungen mit von dem betreffenden Mit­gliedstaat anerkannter vergleichbarer Zielsetzung erbracht werden. Die Mit­gliedstaaten stellen dabei die Regeln auf, nach denen den betreffenden Ein­richtungen eine solche Anerkennung gewährt wird (vgl. EuGH-Urteil MDDP vom 28.11.2013 ‑ C‑319/12, EU:C:2013:778, Leitsatz 1).

2. Das FG hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise entschie­den, dass eng mit der Erziehung von Kindern und Jugendlichen verbundene Dienstleistungen im Sinne des Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL vorliegen.

a) Zwar enthält Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL keine Definition, was unter dem autonomen unionsrechtlichen Begriff "Erziehung von Kindern und Jugendlichen" zu verstehen ist; auch ist die Regelung eng auszulegen (vgl. BFH-Urteil vom 15.12.2021 ‑ XI R 3/20, BFHE 275, 427, Rz 23). Der Senat hält an seiner in Rz 31 des Urteils geäußerten Auffassung fest, dass sich die Erziehung nach Art und Schwerpunkt auf die planmäßige Tätigkeit zur körper­lichen, geistigen und sittlichen Formung junger Menschen zu tüchtigen und mündigen Menschen bezieht, während es beim Unterricht vorrangig um die Vermittlung von Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten geht (vgl. allgemein BFH-Urteile vom 09.05.2017 ‑ VIII R 11/15, BFHE 258, 119, BStBl II 2017, 911, Rz 14 f.; vom 17.11.2022 ‑ V R 33/21 (V R 26/18), BFHE 279, 253, Rz 43). Erforderlich ist daher für eine "Erziehung von Kindern" ‑‑über eine blo­ße Wissensvermittlung hinaus‑‑ eine Vermittlung von sozialen Kompetenzen und Werten (vgl. BFH-Urteile vom 15.12.2021 ‑ XI R 3/20, BFHE 275, 427, Rz 31; vom 17.11.2022 ‑ V R 33/21 (V R 26/18), BFHE 279, 253, Rz 43).

b) Gemessen daran hat das FG, das von den vorgenannten Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise ange­nommen, dass es sich hinsichtlich der streitgegenständlichen Tätigkeiten um eine Erziehung von Kindern handelt.

aa) Das FG hat festgestellt, dass der Präventionsunterricht des Klägers der geistigen und sittlichen Entwicklung der Kinder dient und zur Willens- und Charakterbildung beiträgt. Die Kinder lernen unter anderem, eigene Gefühle wahrzunehmen, wie sie sich in schwierigen Situation wehren können, wer Vertrauenspersonen sind und wie man "gute" und "schlechte" Geheimnisse unterscheidet. Des Weiteren hat das FG festgestellt, dass die Kinder durch die streitgegenständlichen Kurse eigene Fähigkeiten und Stärken entdecken sollen. Selbstvertrauen, Selbst­wertgefühl und Resilienz der Kinder sollen nach den Feststellungen des FG ge­stärkt werden.

bb) Diese tatsächliche Würdigung des FG ist möglich und verstößt nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze; sie bindet daher den Senat (§ 118 Abs. 2 FGO). Die Präventionskurse entsprechen dem Begriff der Erziehung als Ver­mittlung von sozialen Kompetenzen und Werten.

3. Die personellen Voraussetzungen des Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL sind ebenfalls erfüllt.

a) Nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL sind die darin genannten Leis­tungen nur dann befreit, wenn sie von Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit solchen Aufgaben betraut sind, oder von anderen Einrichtungen mit von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannter vergleichbarer Zielsetzung erbracht werden, das heißt, die anderen Einrichtungen müssen eine vergleich­bare Zielsetzung wie die genannten Einrichtungen des öffentlichen Rechts ha­ben (vgl. EuGH-Urteil MDDP vom 28.11.2013 ‑ C‑319/12, EU:C:2013:778, Rz 35).

aa) Da Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL nicht festlegt, unter welchen Vor­aussetzungen und nach welchen Modalitäten die vergleichbare Zielsetzung anerkannt werden kann, ist es grundsätzlich Sache des nationalen Rechts der einzelnen Mitgliedstaaten, die Regeln aufzustellen, nach denen den betreffen­den Einrichtungen eine solche Anerkennung gewährt werden kann. Die Mit­gliedstaaten verfügen dabei über ein Ermessen (vgl. EuGH-Urteile Happy Education vom 28.04.2022 ‑ C‑612/20, EU:C:2022:314, Rz 31; MDDP vom 28.11.2013 ‑ C‑319/12, EU:C:2013:778, Rz 37; Kingscrest Associates und Montecello vom 26.05.2005 ‑ C‑498/03, EU:C:2005:322, Rz 49 und 51). Die nationalen Gerichte haben zu prüfen, ob die Mitgliedstaaten bei der Aufstel­lung solcher Bedingungen die Grenzen ihres Ermessens nicht überschritten haben und die Grundsätze des Unionsrechts, insbesondere den Grundsatz der Gleichbehandlung, der im Mehrwertsteuerbereich im Grundsatz der steuerli­chen Neutralität zum Ausdruck kommt, beachtet haben (vgl. EuGH-Urteil MDDP vom 28.11.2013 ‑ C‑319/12, EU:C:2013:778, Rz 38).

bb) Fehlt es an einem nationalen förmlichen Anerkennungsverfahren oder an der Festlegung von sonstigen Voraussetzungen für die Anerkennung und Mo­dalitäten des Verfahrens, ist jedenfalls dann von Einrichtungen mit einer ver­gleichbaren Zielsetzung auszugehen, wenn sie in der Gesamtheit ihrer unter­nehmerischen Zielsetzung auf die Erziehung von Kindern und Jugendlichen ausgerichtet sind (BTDrucks 19/13436, S. 149 zur Einführung des § 4 Nr. 23 UStG durch das Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 12.12.2019, BGBl I 2019, 2451 ‑‑n.F.‑‑; Oelmaier in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 4 Nr. 23 Rz 24; Bunjes/Heidner, UStG, 24. Aufl., § 4 Nr. 23 Rz 19). Jedenfalls dann erfüllen die Einrichtungen die Voraussetzung, dass sie eine vergleichbare Zielsetzung wie die genannten Einrichtungen des öffentlichen Rechts haben (vgl. EuGH-Ur­teil MDDP vom 28.11.2013 ‑ C‑319/12, EU:C:2013:778, Rz 35).

cc) Einrichtung im Sinne dieser Vorschrift können auch natürliche Personen sein, da auch sie abgegrenzte Einheiten darstellen, die eine bestimmte Funk­tion erfüllen (vgl. EuGH-Urteile Gregg vom 07.09.1999 ‑ C‑216/97, EU:C:1999:390, Rz 21; Administration de l'Enregistrement, des Domaines und de la TVA, EQ vom 15.04.2021 ‑ C‑846/19, EU:C:2021:277, Rz 73; BFH-Urteil vom 28.06.2017 ‑ XI R 23/14, BFHE 258, 517). Auch private Einheiten mit Gewinnerzielungsabsicht (vgl. dazu EuGH-Urteile Kingscrest Associates und Montecello vom 26.05.2005 ‑ C‑498/03, EU:C:2005:322, Rz 35 und 40; MDDP vom 28.11.2013 ‑ C‑319/12, EU:C:2013:778, Rz 28 und 31) sind grundsätz­lich erfasst (vgl. allgemein auch BFH-Urteile vom 18.03.2015 ‑ XI R 15/11, BFHE 249, 359, BStBl II 2015, 1058, Rz 31; vom 28.06.2017 ‑ XI R 23/14, BFHE 258, 517, Rz 38; vom 24.02.2021 ‑ XI R 30/20 (XI R 11/17), BFHE 272, 259, BStBl II 2023, 792, Rz 34; vom 15.02.2022 ‑ XI R 30/21 (XI R 37/18), BFHE 275, 468, Rz 18).

b) Bei Anwendung dieser Grundsätze ist der Kläger als Einrichtung mit ver­gleichbarer Zielsetzung wie die der Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit solchen Aufgaben (hier: Erziehung) betraut sind, anzusehen.

aa) Die Gesamtheit der unternehmerischen Zielsetzung des Klägers ist wie bei den Einrichtungen des öffentlichen Rechts auf eine Erziehung von Kindern ausgerichtet, so dass jedenfalls in diesem Fall ein Gleichlauf der Zielsetzungen im Sinne des Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL besteht.

bb) Soweit aufgrund der Neufassung des § 4 Nr. 23 Buchst. a UStG n.F. von der Einrichtung zusätzlich gefordert wird, dass sie keine systematische Gewinnerzielung anstrebt und anfallende Gewinne nicht verteilt werden dürfen, sondern zur Erhaltung oder Verbesserung der durch die Einrichtung erbrachten Leistungen verwendet werden müssen, ist diese zusätzliche Voraussetzung zwar unionsrechtlich zu­lässig (Art. 133 Satz 1 Buchst. a MwStSystRL), aber im Streitjahr noch nicht in Kraft getreten. Sie gilt erst ab dem 01.01.2020 und damit nach dem Streitjahr.

cc) Da das nationale Recht im Streitjahr weitere Voraussetzungen für eine An­erkennung noch nicht aufgestellt hat, sind in Ermangelung unionsrechtlicher Kriterien für vergleichbare Zielsetzungen (vgl. EuGH-Urteile Happy Education vom 28.04.2022 ‑ C‑612/20, EU:C:2022:314, Rz 31; MDDP vom 28.11.2013 ‑ C‑319/12, EU:C:2013:778, Rz 37; Kingscrest Associates und Montecello vom 26.05.2005 ‑ C‑498/03, EU:C:2005:322, Rz 49 und 51) im Streitjahr (und den übrigen Jahren vor 2020) alle Einrichtungen mit einer erzieherischen Zielset­zung, die sachlich befreite Erziehungsleistungen zulässigerweise erbringen durften, vom Mitgliedstaat Bundesrepublik Deutschland als Einrichtungen mit vergleichbarer Zielsetzung anerkannt.

dd) Die Grundsätze des Unionsrechts, insbesondere der Grundsatz der Gleich­behandlung, der im Mehrwertsteuerbereich im Grundsatz der steuerlichen Neutralität zum Ausdruck kommt (vgl. EuGH-Urteile Happy Education vom 28.04.2022 ‑ C‑612/20, EU:C:2022:314, Rz 32; MDDP vom 28.11.2013 ‑ C‑319/12, EU:C:2013:778, Rz 38), sind dadurch beachtet. Die umsatzsteuer­rechtliche Gleichbehandlung des Klägers mit Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die Erziehungsleistungen erbringen, führt zu keiner Verletzung des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität.

4. Die übrigen Einwendungen des FA greifen nicht durch.

a) Entgegen der Auffassung des FA kann sich der Kläger grundsätzlich auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL berufen.

aa) Dies ergibt sich bereits aus § 126 Abs. 5 FGO und der Zurückverweisung an das FG durch das Senatsurteil vom 15.12.2021 ‑ XI R 3/20 (BFHE 275, 427). Der Senat hat in seinem Prüfungsauftrag an das FG zum Ausdruck ge­bracht, dass sich der Kläger auf diese Steuerbefreiung grundsätzlich berufen kann, so dass die Vorinstanz an diese rechtliche Beurteilung gebunden ist (§ 126 Abs. 5 FGO).

bb) Darüber hinaus ergibt sich dies auch aus der Rechtsprechung. Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL ist grundsätzlich berufbar (vgl. dazu BFH-Urteile vom 19.05.2005 ‑ V R 32/03, BFHE 210, 175, BStBl II 2005, 900; vom 18.08.2005 ‑ V R 71/03, BFHE 211, 543, BStBl II 2006, 143; vom 10.01.2008 ‑ V R 52/06, BFHE 221, 295, unter II.2.; vom 24.01.2008 ‑ V R 3/05, BFHE 221, 302, BStBl II 2012, 267, unter II.2.; vom 15.12.2021 ‑ XI R 3/20, BFHE 275, 427, Rz 22; zu Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. m und Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 77/388/EWG vgl. ferner Senatsur­teile vom 02.03.2011 ‑ XI R 21/09, BFHE 233, 269, Rz 19 und vom 28.05.2013 ‑ XI R 35/11, BFHE 242, 250, BStBl II 2013, 879, Rz 33). In Er­mangelung erlassener Umsetzungsmaßnahmen ist die Berufung eines Einzel­nen auf Bestimmungen einer Richtlinie, die ‑‑wie hier‑‑ inhaltlich als unbedingt und hinreichend genau erscheinen, gegenüber allen nicht richtlinienkonformen innerstaatlichen Vorschriften möglich (vgl. dazu Senatsurteile vom 02.03.2011 ‑ XI R 21/09, BFHE 233, 269, Rz 26, m.w.N. zur ständigen Recht­sprechung des EuGH; vom 28.05.2013 ‑ XI R 35/11, BFHE 242, 250, BStBl II 2013, 879, Rz 33).

b) Eine Berufung scheitert auch nicht daran, dass die Tätigkeit des Klägers nicht "anerkannt" sei, weil es an einer gesetzlichen Grundlage für die Über­nahme der Aufgabe fehle.

aa) Das FA kann sich nicht auf eine fehlende gesetzliche Grundlage berufen.
Ein Mitgliedstaat, der von der Beschränkungsmöglichkeit, die die Mehrwert­steuersystemrichtlinie ihm einräumt, nicht Gebrauch macht, kann sich nicht auf sein eigenes Unterlassen berufen, um einem Steuerpflichtigen eine Steu­erbefreiung zu verwehren, die dieser nach der Mehrwertsteuersystemrichtlinie in Anspruch nehmen kann (vgl. EuGH-Urteile Kügler vom 10.09.2002 ‑ C‑141/00, EU:C:2002:473, Rz 60; Administration de l'Enregistrement, des Domaines und de la TVA, EQ vom 15.04.2021 ‑ C‑846/19, EU:C:2021:277, Rz 75). Dies gilt auch im Streitfall, wenn das FA sich auf eine fehlende gesetz­liche Grundlage für die Übernahme der Aufgaben, die eine staatliche Anerken­nung der Tätigkeit zum Ausdruck bringen soll, beruft.

bb) Im Übrigen ist aus Sicht des erkennenden Senats weder vom FA vorgetra­gen noch sonst ersichtlich, weshalb die Erteilung von Präventionskursen für Kinder und Jugendliche durch private Persönlichkeitstrainer im Auftrag der El­tern im Streitjahr einer gesetzlichen Grundlage bedurft hätte. Eltern nehmen eine Vielzahl von Leistungen zur Erziehung ihrer Kinder in Anspruch, die nicht gesetzlich geregelt sind. Bedarf es zur Erbringung einer Leistung zur Erziehung von Kindern keiner gesetzlichen Grundlage, ist ihr Fehlen nicht geeignet, zu einer fehlenden Anerkennung des Leistungserbringers zu führen. Dass dem Kläger eine solche Leistung nicht gestattet gewesen wäre, vermag der Senat nicht zu erkennen.

5. Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil (§ 90 Abs. 2, § 121 Satz 1 FGO).

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

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