BFH: Entgeltlicher Verzicht auf Nießbrauch bei einem vermieteten Grundstück
- Das Entgelt für den Verzicht auf die Ausübung eines Nießbrauchsrechts an einem dem Privatvermögen zugehörigen Grundstück ist eine steuerbare Entschädigung gemäß § 24 Nr. 1 Buchst. a des Einkommensteuergesetzes (EStG), wenn der Nießbraucher das Grundstück zum Zeitpunkt des Verzichts tatsächlich vermietet und hieraus Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erzielt (entgegen Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 25.11.1992 ‑ X R 34/89, BFHE 170, 76, BStBl II 1996, 663 = SIS IAAAB-04851, unter 1.b).
- Der Tatbestand des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG setzt nicht voraus, dass der Steuerpflichtige, dem eine Entschädigung als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen zufließt, bei Abschluss einer entsprechenden Vereinbarung unter rechtlichem, wirtschaftlichem oder tatsächlichem Druck stand (unter anderem entgegen BFH-Urteil vom 24.10.1990 ‑ X R 161/88, BFHE 162, 329, BStBl II 1991, 337 = SIS DAAAA-93598, unter 3.).
EStG § 24 Nr. 1 Buchst. a
BGB § 100, § 1030 Abs. 1
BFH-Urteil vom 10.10.2025 – IX R 4/24 (veröffentlicht am 4.12.2025)
Vorinstanz: FG Münster vom 12.12.2023 ‑ 6 K 2489/22 E = SIS PAAAJ-57833
I. Streitig ist, ob die Entschädigung für den Verzicht auf ein Nießbrauchsrecht an einem vermieteten Grundstück ("…" in Z‑Stadt) einkommensteuerbar ist.
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) hatte ein lebenslanges Nießbrauchsrecht an diesem Grundstück. Eigentümerin war eine Erbengemeinschaft, der die Kinder der Klägerin angehörten.
Die Klägerin vermietete als Nießbraucherin das Grundstück zunächst an einen fremden Dritten und erzielte hieraus Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung.
Ab dem Jahr 2012 vermietete die Klägerin das Grundstück an die … KG (A‑KG), deren Komplementärin sie war. Aufgrund dessen wurde das Nießbrauchsrecht dem Sonderbetriebsvermögen der Klägerin bei der A‑KG zugeordnet. Die Klägerin erzielte aus der Vermietung gewerbliche Einkünfte.
Im Jahr 2018 schied die Klägerin aus der A‑KG aus. Das Nießbrauchsrecht wurde wieder ins Privatvermögen überführt. Die Mieteinnahmen gehörten fortan wieder zu den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung.
Nachdem die Erbengemeinschaft das Grundstück veräußert hatte, verzichtete die Klägerin mit Vertrag vom 06.11.2019 auf ihr Nießbrauchsrecht. Hierfür erhielt sie von einer weiteren Gesellschaft, an die das Grundstück zuletzt vermietet war und deren Anteile die Kinder der Klägerin hielten, eine Entschädigung von … Mio. €. Die Beteiligten gehen übereinstimmend davon aus, dass der Wert des Nießbrauchsrechts zum Zeitpunkt des Verzichts … Mio. € betrug und der übersteigende Betrag der Klägerin unentgeltlich zugewendet wurde.
Nach einer Außenprüfung qualifizierte der Beklagte und Revisionskläger (Finanzamt ‑‑FA‑‑) die entgeltliche Ablösung des Nießbrauchsrechts im Einkommensteuerbescheid für 2019 als privates Veräußerungsgeschäft gemäß § 22 Nr. 2, § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und berücksichtigte einen Veräußerungsgewinn von … Mio. €.
Nach erfolglosem Einspruch gab das Finanzgericht (FG) der Klage mit in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2024, 392 veröffentlichtem Urteil vom 12.12.2023 statt.
Das FA rügt mit seiner Revision die Verletzung von Bundesrecht.
Das FA beantragt (sinngemäß),
das Urteil des FG Münster vom 12.12.2023 ‑ 6 K 2489/22 E aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Klägerin sieht die Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG als nicht gegeben an.
II. Die Revision ist begründet. Sie führt nach § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG.
Die Vorinstanz hat in ihrer Entscheidung rechtsfehlerhaft nicht berücksichtigt, dass der entgeltliche Verzicht auf das Nießbrauchsrecht an einer durch den Nießbraucher vermieteten Immobilie zu einer steuerbaren und steuerpflichtigen Entschädigung für entgehende Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung nach § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG i.V.m. § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG führt (dazu unter 1.). Dieser Tatbestand ist nach § 23 Abs. 2 EStG gegenüber den vom FA angenommenen und vom FG abgelehnten sonstigen Einkünften nach § 22 Nr. 2, § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStG vorrangig (unter 2.). Die Sache ist nicht spruchreif (unter 3.).
1. Die angefochtene Entscheidung beruht auf einem Rechtsfehler. Das FG hat die von der Klägerin bezogene Entschädigung für den Verzicht auf das Nießbrauchsrecht an dem von ihr vermieteten Grundstück nicht im Umfang des entgeltlichen Teils den nach § 24 Nr. 1 Buchst. a i.V.m. § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG steuerbaren Einnahmen zugeordnet.
a) Nach § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG gehören zu den Einkünften im Sinne des § 2 Abs. 1 EStG auch Entschädigungen, die als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen gewährt worden sind.
aa) Die Vorschrift des § 24 EStG hat keine die Einkünfte erweiternde, sondern lediglich eine die Reichweite der einzelnen Einkunftsarten klarstellende Bedeutung. Diese Klarstellung hat eine doppelte Wirkung. Einmal ist ihr positiv zu entnehmen, zu welcher Einkunftsart eine Entschädigung gehört. Zum anderen hat die Vorschrift auch eine negative Rechtsfolge. Sie stellt in § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG klar, dass alle diejenigen Entschädigungen aus dem Regelungsbereich des § 2 Abs. 1 EStG ausgenommen sind, die für entgangene oder entgehende Einnahmen gewährt werden, die ihrerseits nicht unter die Einkünfte im Sinne des § 2 Abs. 1 EStG fallen. Die Entschädigung soll also nicht unter weitergehenden Voraussetzungen den Einkünften zugerechnet werden als die entgehende oder entgangene Einnahme, an deren Stelle sie tritt. Es muss demzufolge eine kausale Verknüpfung zwischen der Entschädigung und den entgehenden oder entgangenen Einnahmen bestehen. Nachträgliche Einkünfte in diesem Sinne setzen somit zunächst voraus, dass dem Steuerpflichtigen die Einkünfte, für die Entschädigung gewährt wird, steuerlich zuzurechnen sind (statt vieler vgl. Senatsurteil vom 20.09.2024 ‑ IX R 5/24, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, Rz 13, m.w.N.).
bb) In sachlicher Hinsicht muss die Entschädigung für den Wegfall (steuerbarer) Einnahmen gewährt werden. Der Tatbestand des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG ist daher nicht erfüllt, wenn die Entschädigung für den Vermögensverlust an einem Wirtschaftsgut geleistet wird (vgl. Senatsurteil vom 19.03.2013 ‑ IX R 65/10, Rz 24; Urteile des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 07.05.1965 ‑ VI 303/64, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung ‑‑HFR‑‑ 1965, 506; vom 09.08.1990 ‑ X R 140/88, BFHE 161, 531, BStBl II 1990, 1026, unter 1.b; vom 06.08.1998 ‑ IV R 91/96, BFH/NV 1999, 40, unter 1.; vom 28.02.2002 ‑ IV R 64/00, BFHE 198, 460, BStBl II 2002, 658, unter 1.). Wird das Entgelt für die Aufgabe eines Wirtschaftsguts gezahlt und nicht dafür, dass dem Steuerpflichtigen aufgrund der Aufgabe Einnahmen entgehen, sind nicht die Einkünfte aus diesem Wirtschaftsgut, sondern das Wirtschaftsgut selbst betroffen (BFH-Urteil vom 07.05.1965 ‑ VI 303/64, HFR 1965, 506).
cc) Das Nießbrauchsrecht an einer vermieteten Immobilie, durch das dem Nießbraucher die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 EStG zuzurechnen sind, wenn er im Außenverhältnis selbst als Vermieter in Erscheinung tritt und die an dem Vermietungsgegenstand zustande gekommenen Mietverträge im eigenen Namen abschließt (Senatsurteil vom 20.06.2023 ‑ IX R 8/22, Rz 13 f.), ist ein Wirtschaftsgut (statt vieler BFH-Urteil vom 04.11.1980 ‑ VIII R 55/77, BFHE 132, 414, BStBl II 1981, 396, unter 3.).
Verzichtet ein Nießbraucher auf dieses ‑‑im Privatvermögen befindliche‑‑ Recht und erhält er hierfür eine Gegenleistung, soll nach einer Entscheidung des X. Senats des BFH aus dem Jahr 1992 diese Gegenleistung keine Entschädigung im Sinne von § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG sein (vgl. BFH-Urteil vom 25.11.1992 ‑ X R 34/89, BFHE 170, 76, BStBl II 1996, 663, unter 1.b, und unter Bezugnahme auf das BFH-Urteil vom 09.08.1990 ‑ X R 140/88, BFHE 161, 531, BStBl II 1990, 1026, unter 1.b, dort entgeltlicher Verzicht auf ein Wohnrecht). Dies entspricht der Auffassung der Finanzverwaltung, die die Ablösung eines Vorbehalts- oder Vermächtnisnießbrauchs gegen Einmalzahlung als nicht steuerbare Vermögensumschichtung ansieht (vgl. Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 30.09.2013, BStBl I 2013, 1184, Rz 58, 60, 65). In der Literatur wird für diese Ansicht angeführt, dass das Verzichtsentgelt nicht deshalb gezahlt werde, weil dem Nießbraucher Einnahmen entgingen, sondern weil er ein Wirtschaftsgut aufgegeben habe (Wüllenkemper, EFG 2004, 653, 654; zustimmend Mellinghoff in Kirchhof/Seer, EStG, 24. Aufl., § 24 Rz 13, "Nießbrauch").
Die Senatsentscheidungen vom 20.09.2024 ‑ IX R 5/24 (zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt) und vom 11.02.2025 ‑ IX R 14/24 sind dagegen von der Erwägung getragen, dass das Entgelt für die Ablösung eines Nießbrauchsrechts an einem Kapitalgesellschaftsanteil jedenfalls dann als nach § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG steuerbare Entschädigung zu behandeln sein kann, wenn der Nießbraucher wirtschaftlicher Eigentümer des nießbrauchsbelasteten Gesellschaftsanteils war und ihm daher insoweit die Dividenden der Gesellschaft als Einkünfte aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 3 EStG steuerlich zuzurechnen waren.
dd) Bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung ist der erkennende Senat abweichend zur vorgenannten Rechtsprechung des X. Senats und der hieran anknüpfenden Auffassung der Finanzverwaltung der Ansicht, dass das Entgelt für den Verzicht auf die Ausübung des Nießbrauchsrechts jedenfalls dann eine steuerbare Entschädigung gemäß § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG darstellt, wenn der Nießbraucher das Grundstück zum Zeitpunkt des Verzichts tatsächlich vermietet und hieraus Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erzielt hat.
aaa) Gesetzlicher Inhalt des Nießbrauchs ist nach § 1030 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) die Berechtigung, Nutzungen nach § 100 BGB aus der Sache zu ziehen. Das Nießbrauchsrecht ist grundsätzlich auf Ziehung der gesamten Nutzungen gerichtet (MüKoBGB/Pohlmann, 9. Aufl., § 1030 Rz 5). Zu diesen Nutzungen gehört auch die Gewinnung der mittelbaren Sachfrüchte nach § 99 Abs. 3 BGB durch Vermietung (Staudinger/Heinze (2017) zu § 1030 BGB Rz 52).
bbb) Nutzt der Nießbraucher sein Recht dazu, das Grundstück an einen Dritten zu vermieten und hieraus Erträge zu erzielen, stellt die für den Verzicht auf das Nießbrauchsrecht erhaltene Gegenleistung bei wirtschaftlicher Betrachtung eine Entschädigung für die entgangenen Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung dar. Denn in diesem Fall ist die tatsächliche Einkunftserzielung der wirtschaftliche Kerngehalt des aufgegebenen Rechts. Die Entschädigung tritt an die Stelle des ohne den Verzicht fortwährenden Zuflusses an Mieteinnahmen. Losgelöst von der Nutzung des Rechts zur Einkünfteerzielung kommt dem Nießbrauchsrecht als solchem kein eigenständiger Wert zu. Etwas anderes kann sich auch nicht aus den dinglichen Wirkungen dieses Rechts, etwa dem auch gegenüber Dritten wirkenden Besitzrecht nach § 1036 Abs. 1 BGB, ergeben. Sie flankieren lediglich die Fruchtziehung durch Vermietung, haben aber für den Nießbraucher keinen eigenständigen wirtschaftlichen Gehalt.
ccc) Damit ist eine Entschädigung, die für den Verzicht auf ein Nießbrauchsrecht an einem zu diesem Zeitpunkt vermieteten Grundstück gezahlt wird, als eine solche für die entgehenden Einkünfte aus der Vermietung des Grundstücks anzusehen. Aufgabe des Wirtschaftsguts und Kompensation der entgehenden Einnahmen aus dem Wirtschaftsgut lassen sich in diesem Fall nicht voneinander trennen, weil das Nießbrauchsrecht gerade die Erzielung von Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung des Grundstücks zum wirtschaftlichen Inhalt hat. Ob dies auch gilt, wenn das Grundstück zum Zeitpunkt des Verzichts nicht vom Nießbraucher vermietet war, bedarf vorliegend keiner Entscheidung des Senats.
ee) Der X. Senat hat auf Anfrage mitgeteilt, dass er an seiner in der Entscheidung vom 25.11.1992 ‑ X R 34/89 (BFHE 170, 76, BStBl II 1996, 663) vertretenen Auffassung nicht festhält.
b) Nach diesen Maßstäben ist das der Klägerin zugeflossene Entgelt als Entschädigung im Sinne von § 24 Nr. 1 Buchst. a i.V.m. § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG zu werten.
aa) Nach den Feststellungen der Vorinstanz war es die Klägerin als Nießbraucherin, die das Grundstück vermietete. In der vom FG festgestellten Vereinbarung vom 06.11.2019 über die Aufhebung eines Nießbrauchs heißt es zudem, dass die Klägerin Vermieterin sei. Demnach sind in der Person der Klägerin die oben genannten Voraussetzungen erfüllt, die an die steuerliche Zurechnung der erzielten Vermietungseinkünfte an den Nießbraucher zu stellen sind. Dies steht zwischen den Beteiligten auch nicht im Streit.
bb) Die Entschädigung wurde der Klägerin nicht für die Aufgabe des Nießbrauchsrechts als Wirtschaftsgut, sondern für die künftig entgehenden Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung gezahlt. Die Entschädigung wurde für den Wegfall der Mieterträge aus dem zum Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarung vom 06.11.2019 vermieteten Grundstück gezahlt.
c) Einer Steuerbarkeit der Zahlung nach § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG steht nicht entgegen, sollte die Klägerin ‑‑was das FG nicht festgestellt hat‑‑ auf das Nießbrauchsrecht freiwillig verzichtet haben.
aa) Nach der bislang sowohl zu den Gewinn- als auch zu den Überschusseinkunftsarten ergangenen Rechtsprechung setzt eine Entschädigung im Sinne des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG tatbestandlich voraus, dass der Ausfall der Einnahmen entweder von dritter Seite veranlasst wurde oder, wenn er vom Steuerpflichtigen selbst oder mit dessen Zustimmung herbeigeführt worden ist, dieser unter rechtlichem, wirtschaftlichem oder tatsächlichem Druck stand (vgl. BFH-Urteile vom 20.07.1978 ‑ IV R 43/74, BFHE 125, 271, BStBl II 1979, 9, unter 1.c; vom 24.10.1990 ‑ X R 161/88, BFHE 162, 329, BStBl II 1991, 337, unter 3.; vom 21.09.1993 ‑ IX R 32/90, BFH/NV 1994, 308, unter 1.b; vom 13.08.2003 ‑ XI R 18/02, BFHE 203, 420, BStBl II 2004, 106, unter II.1., sowie vom 16.09.2015 ‑ III R 22/14, Rz 21; vgl. zur Entwicklung der Rechtsprechung Hüttemann, Der Betrieb ‑‑DB‑‑ 2024, 478, 481 f.). Diesem Erfordernis liegt die Überlegung zugrunde, dass die für Entschädigungen im Sinne von § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG greifende Steuertarifermäßigung nach § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 EStG nur in den Fällen gerechtfertigt ist, in denen sich der Steuerpflichtige in einer Zwangssituation befindet und sich dem zusammengeballten Zufluss der Einnahmen nicht entziehen kann (u.a. BFH-Urteil vom 16.09.2015 ‑ III R 22/14, Rz 21, m.w.N.).
bb) Diese Rechtsprechung ist in jüngerer Zeit in Zweifel gezogen worden. In einer die sonstigen Einkünfte (§ 22 EStG) betreffenden Entscheidung hat der X. Senat des BFH mangels dortiger Erheblichkeit zwar dahinstehen lassen, ob an dem Erfordernis der Zwangssituation im Rahmen des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG festzuhalten sei, zugleich aber den Wortlaut und Zweck der Norm dafür angeführt, dass dies nicht gerechtfertigt sei (BFH-Urteil vom 23.11.2016 ‑ X R 48/14, BFHE 256, 290, BStBl II 2017, 383, Rz 26). Die dortigen Ausführungen sind auf breite Zustimmung im Schrifttum gestoßen (vgl. Horn in Herrmann/Heuer/Raupach ‑‑HHR‑‑, § 24 EStG Rz 35; Geißler, Die Steuerberatung ‑‑Stbg‑‑ 2017, 417, 419 f.; Zeising, Betriebs-Berater ‑‑BB‑‑ 2021, 1239, 1242; Hüttemann, DB 2024, 478, 483; s.a. Ratschow, BFH/PR 2018, 242).
cc) Der erkennende Senat teilt die Argumente des X. Senats in dessen Entscheidung vom 23.11.2016 ‑ X R 48/14 (BFHE 256, 290, BStBl II 2017, 383, Rz 26; noch offengelassen in den Senatsurteilen vom 13.03.2018 ‑ IX R 16/17, BFHE 261, 258, BStBl II 2018, 709, Rz 14, und vom 13.03.2018 ‑ IX R 12/17, Rz 18).
Gegen das Erfordernis der Feststellung einer Druck- oder Zwangssituation des Steuerpflichtigen spricht bereits der Wortlaut des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG, der ein solches Tatbestandsmerkmal nicht erwähnt (vgl. BFH-Urteil vom 23.11.2016 ‑ X R 48/14, BFHE 256, 290, BStBl II 2017, 383, Rz 26; Geißler, Stbg 2017, 417, 419).
Der Normzweck gebietet die Einbeziehung eines ‑‑ungeschriebenen‑‑ Merkmals nicht. § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG wird vom Surrogationsprinzip getragen (vgl. Füssenich in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 24 Rz A 15). Besteuert werden Leistungen, die an die Stelle der ausgefallenen ‑‑ansonsten steuerbaren‑‑ Einnahmen treten. Auf welche Weise diese Ersatzleistungen zustande gekommen sind, hat für den Steuertatbestand keine Bedeutung (vgl. BFH-Urteil vom 23.11.2016 ‑ X R 48/14, BFHE 256, 290, BStBl II 2017, 383, Rz 26). Zudem erscheint es ungerechtfertigt, freiwillige Einnahmeverluste gegenüber unfreiwilligen steuerlich zu bevorzugen (Hüttemann, DB 2024, 478, 483). In beiden Fällen wird die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen erhöht (vgl. Ratschow, BFH/PR 2018, 242).
Auch aus systematischer Hinsicht ist eine Druck- oder Zwangssituation nicht erforderlich. Denn Anknüpfungspunkt hierfür ist nicht die der Steuerbarkeit der Entschädigung, sondern allein die Beurteilung, ob deren Zufluss zu einer tarifermäßigten Besteuerung gemäß § 34 EStG führen kann (vgl. BFH-Urteil vom 23.11.2016 ‑ X R 48/14, BFHE 256, 290, BStBl II 2017, 383, Rz 26).
Darüber hinaus wird in der Literatur zutreffend darauf hingewiesen, Wertungswidersprüche zu § 24 Nr. 1 Buchst. b EStG zu vermeiden (Zeising, BB 2021, 1239, 1242). Jene Norm setzt keine Druck- oder Zwangssituation des Steuerpflichtigen voraus (vgl. BFH-Urteil vom 05.10.1976 ‑ VIII R 38/72, BFHE 120, 471, BStBl II 1977, 198, unter 3.a; Mellinghoff in Kirchhof/Seer, EStG, 24. Aufl., § 24 Rz 15). Zwar regeln beide Tatbestände des § 24 Nr. 1 EStG unterschiedliche Sachverhalte (HHR/Horn, § 24 EStG Rz 46), gemeinsamer Anknüpfungspunkt für eine Steuerbarkeit ist allerdings der Zufluss einer Entschädigung.
dd) Auf Anfrage des erkennenden Senats haben der III., IV. und X. Senat jeweils mitgeteilt, dass sie an ihrer gegenteiligen, unter I.1.c aa aufgezeigten Rechtsprechung nicht mehr festhalten.
ee) Dies vorangestellt, ist im Streitfall der Zufluss der Entschädigung für den Verzicht auf die Ausübung des Nießbrauchsrechts durch die Klägerin in der von den Beteiligten einvernehmlich zugrunde gelegten Höhe von … Mio. € nach § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG steuerbar.
2. Die Steuerbarkeit nach § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG (i.V.m. § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG) hat zur Folge, dass es auf die zwischen den Beteiligten streitige Frage, ob die Entschädigung als privates Veräußerungsgeschäft gemäß § 22 Nr. 2, § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG zu qualifizieren ist, nicht mehr ankommt. Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften sind nach § 23 Abs. 2 EStG gegenüber anderen Einkunftsarten subsidiär.
3. Aufgrund des vorgenannten Rechtsfehlers ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben. Die Sache ist allerdings nicht spruchreif und geht deshalb zur weiteren Sachaufklärung an die Vorinstanz zurück (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO).
a) Das FG wird im zweiten Rechtsgang zum einen Feststellungen dazu treffen müssen, ob der Klägerin im Zusammenhang mit der vereinnahmten Entschädigung Werbungskosten im Sinne von § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG entstanden sind, die die Einkünfte aus § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG mindern.
b) Zum anderen wird die Vorinstanz insbesondere die näheren Umstände, die zum Abschluss der Verzichtsvereinbarung vom 06.11.2019 geführt haben, festzustellen haben. Hiervon wird abhängen, ob es sich bei der Entschädigung um "außerordentliche" Einkünfte im Sinne von § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG handelt, die wegen des zusammengeballten Zuflusses im Streitjahr eine Steuertarifermäßigung gemäß § 34 Abs. 1 EStG rechtfertigen können (vgl. BFH-Urteil vom 16.09.2015 ‑ III R 22/14, Rz 21, m.w.N.).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.