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BFH: Keine (Pflicht-)Veranlagung bei Stellung eines Antrags auf Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist

  1. Der Antrag auf Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 des Einkommensteuer­gesetzes (EStG) entfaltet keine anlaufhemmende Wirkung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO), wenn er zusammen mit Abgabe der Steuererklärung nach Ablauf der Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 AO ge­stellt wird.
  2. Kapitaleinkünfte, die dem besonderen Steuertarif nach § 32d Abs. 1 EStG aber nicht der Kapitalertragsteuer unterliegen, sind in die "positive Summe der einkommensteuerpflichtigen Einkünfte" im Sinne des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG einzubeziehen.

AO § 47, § 149 Abs. 1 Satz 1, § 169 Abs. 1 und Abs. 2, § 170 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
EStG § 2 Abs. 5b, § 19, § 20, § 25 Abs. 3 Satz 1, § 32d Abs. 6, § 43 Abs. 5 Satz 1, § 46 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 8
EStDV § 56 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b

BFH-Urteil vom 14.5.2025, VI R 17/23 (veröffentlicht am 2.10.2025)

Vorinstanz: FG Nürnberg vom 20.7.2023, 8 K 1062/22 = SIS 23 13 35

I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind zu je ½ Gesamtrechtsnachfolger der im März 2018 verstorbenen … (Erblasserin). Sie reichten für die Erblasserin am 30.12.2020 Einkommensteuererklärungen für die Streit­jahre (2014 und 2015) ein und erklärten darin jeweils Einkünfte aus nichtselb­ständiger Arbeit (Versorgungsbezüge), die dem inländischen Lohnsteuerabzug unterlegen hatten. Außerdem erklärten sie Kapitalerträge in Höhe von 4.543 € (2014) und 1.476 € (2015), die dem inländischen Steuerabzug unterlegen hat­ten, sowie für 2015 ausländische Kapitalerträge in Höhe von 2.683 €, die nicht dem inländischen Steuerabzug unterlegen hatten. Die Kläger beantragten für beide Streitjahre die Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 des Einkommensteu­ergesetzes (EStG) für sämtliche Kapitalerträge der Erblasserin.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt ‑‑FA‑‑) lehnte die Durchfüh­rung von Einkommensteuerveranlagungen für die Streitjahre ab, da die Fest­setzungsfrist abgelaufen sei und keine Pflicht zur Abgabe von Steuererklärun­gen bestanden habe.

Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das Finanzge­richt (FG) ab.

Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts.

Sie beantragen sinngemäß,
das Urteil des FG Nürnberg vom 20.07.2023 ‑ 8 K 1062/22, die Einspruchsent­scheidung vom 31.08.2022 sowie den Ablehnungsbescheid vom 21.01.2021 aufzuheben und das FA zu verpflichten, die Erblasserin für die Veranlagungs­zeiträume 2014 und 2015 unter Vornahme von Günstigerprüfungen zu veran­lagen.

Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II. Die Revision wegen Einkommensteuer 2014 ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Die Revision wegen Einkommensteuer 2015 ist hingegen begründet. Sie führt insoweit zur Aufhe­bung der Vorentscheidung und zur Stattgabe der spruchreifen Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Die Vorinstanz hat nur für das Streitjahr 2014 zu Recht entschieden, dass die Kläger keinen Anspruch auf Durchführung einer Einkommensteuerveranlagung zugunsten der Erblasserin haben, für das Streitjahr 2015 hat das FG einen solchen Anspruch der Kläger zu Unrecht ab­gelehnt.

1. Gemäß § 47 der Abgabenordnung (AO) erlöschen Ansprüche aus dem Steu­erschuldverhältnis unter anderem durch Verjährung. Eine Steuerfestsetzung sowie ihre Aufhebung oder Änderung sind nach § 169 Abs. 1 Satz 1 AO nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist.

Die Festsetzungsfrist beträgt für die Einkommensteuer regelmäßig vier Jahre (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO). Sie beginnt grundsätzlich mit Ablauf des Ka­lenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist (§ 170 Abs. 1 Alternative 1 AO). Ist eine Steuererklärung einzureichen, beginnt die Festsetzungsfrist ab­weichend mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuererklärung einge­reicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist (§ 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO).

a) Nach § 149 Abs. 1 Satz 1 AO, § 25 Abs. 3 Satz 1 EStG i.V.m. § 56 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung haben unbe­schränkt steuerpflichtige Personen, bei denen ‑‑wie bei der Erblasserin‑‑ im Veranlagungszeitraum die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 EStG nicht vorge­legen haben, eine Einkommensteuererklärung für das abgelaufene Kalender­jahr (nur dann) abzugeben, wenn in dem Gesamtbetrag der Einkünfte solche aus nichtselbständiger Arbeit, von denen ein Steuerabzug vorgenommen wor­den ist, enthalten sind und eine Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 bis 6 und Nr. 7 Buchst. b EStG in Betracht kommt.

b) Besteht das Einkommen ‑‑wie hier‑‑ ganz oder teilweise aus Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit im Sinne des § 19 EStG, von denen ein Steuerabzug vorgenommen worden ist, so wird nach dem vorliegend allein in Betracht kom­menden § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG eine Veranlagung unter anderem nur durchge­führt, wenn die positive Summe der einkommensteuerpflichtigen Einkünfte, die nicht dem Steuerabzug vom Arbeitslohn zu unterwerfen waren, vermindert um die darauf entfallenden Beträge nach § 13 Abs. 3 EStG und § 24a EStG, mehr als 410 € beträgt.

aa) Zur positiven Summe der einkommensteuerpflichtigen Einkünfte nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG können zwar auch Kapitalerträge im Sinne des § 20 EStG gehören. Eine Veranlagungspflicht nach § 32d Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG besteht jedoch nicht, wenn zusätzlich zu den Einkünften aus nicht­selbständiger Arbeit nach § 19 EStG nur Einkünfte aus Kapitalvermögen ge­mäß § 20 EStG bezogen werden, die der Kapitalertragsteuer gemäß § 32d Abs. 1 EStG unterlegen haben und für die die Einkommensteuer mit dem Steuerabzug nach § 43 Abs. 5 Satz 1 EStG abgegolten ist. Denn solche Ein­künfte aus Kapitalvermögen sind gemäß § 2 Abs. 5b EStG nicht in die (positi­ve) Summe der Einkünfte des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG einzubeziehen.

bb) Etwas anderes, das heißt eine Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung nach § 32d Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG, ergibt sich für Ein­künfte aus Kapitalvermögen, die der abgeltenden Kapitalertragsteuer nach § 32d Abs. 1 i.V.m. § 43 Abs. 5 Satz 1 EStG unterlegen haben, auch nicht im Fall eines Antrags auf Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG.

(1) Diese Vorschrift räumt dem Steuerpflichtigen nach ständiger Rechtspre­chung des Bundesfinanzhofs (BFH) ein unbefristetes Wahlrecht ein, dessen Ausübbarkeit (nur) durch den Eintritt der Festsetzungsverjährung (BFH-Urteil vom 12.05.2015 ‑ VIII R 14/13, BFHE 250, 64, BStBl II 2015, 806, Rz 10) und den Eintritt der Bestandskraft begrenzt wird (BFH-Urteile vom 12.05.2015 ‑ VIII R 14/13, BFHE 250, 64, BStBl II 2015, 806, Rz 11; vom 09.08.2016 ‑ VIII R 27/14, BFHE 255, 51, BStBl II 2017, 821, Rz 19, und vom 22.05.2024 ‑ VIII R 20/22, Rz 24). Sie begründet indes keine Pflicht zur Abgabe einer Steu­ererklärung und kann damit nicht gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO den Beginn der Festsetzungsfrist aufschieben. Dem steht auch nicht entgegen, dass die Regelung gedanklich an die Abgabe einer Steuererklärung anknüpft beziehungsweise diese voraussetzt, da nur insoweit die sogenannte Günstiger­prüfung durchgeführt werden kann.

Das mit dem gesetzlichen Eintritt der Festsetzungsverjährung einhergehende Erlöschen des Steueranspruchs gemäß § 47 AO kann durch einen Antrag des Steuerpflichtigen nach § 32d Abs. 6 EStG daher nicht rückwirkend aufgehoben werden.

(2) Insoweit kann nichts anderes gelten, als in dem vom erkennenden Senat bereits entschiedenen Fall, dass der Steuerpflichtige durch einen Antrag nach § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4a Satz 1 Buchst. c Alternative 2 EStG a.F. (aufgehoben mit Wirkung vom 01.01.2004 durch Art. 9 Nr. 31 des Haushaltsbegleitgesetzes 2004 vom 29.12.2003, BGBl I 2003, 3076: Antrag auf Gewährung des Haus­haltsfreibetrags im Fall des § 32 Abs. 7 Satz 2 EStG a.F.) eine Pflicht zur Ab­gabe der Steuererklärung erst begründet (vgl. Senatsurteil vom 28.03.2012 ‑ VI R 68/10, BFHE 237, 400, BStBl II 2012, 711, Rz 16). Wie in diesem Fall kann der Steuerpflichtige auch durch die Stellung des Antrags nach § 32d Abs. 6 EStG die in § 47 AO gesetzlich festgelegte und unmittelbare Beendi­gung des Steuerschuldverhältnisses nicht rückwirkend aufheben.

2. Bei Heranziehung dieser Grundsätze war der Anspruch der Kläger als Ge­samtrechtsnachfolger auf Steuerfestsetzung zugunsten der Erblasserin für das Streitjahr 2014 im Zeitpunkt der Abgabe der Steuererklärungen am 30.12.2020 aufgrund des Eintritts der Festsetzungsverjährung (§ 169 Abs. 1 Satz 1 AO) nach § 47 AO erloschen (unter a). Ein späterer Beginn der Festset­zungsfrist kommt insoweit auch nicht wegen eines rückwirkenden Ereignisses im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 2 AO in Betracht (unter b). Für das Streitjahr 2015 war im Zeitpunkt der Abgabe der Steuererklärung durch die Kläger am 30.12.2020 dagegen noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten (unter c).

a) Für das Streitjahr 2014 begann die vierjährige Festsetzungsfrist vorliegend nach § 170 Abs. 1 AO bereits mit Ablauf des Jahres 2014, dem Jahr der Ent­stehung des Steueranspruchs (vgl. § 38 AO i.V.m. § 36 Abs. 1 EStG), und en­dete dementsprechend mit Ablauf des Jahres 2018.

aa) Ein Pflichtveranlagungsfall lag insoweit nicht vor. Denn bis zum Ende der regulären Festsetzungsfrist bestand mangels Vorliegens eines der Tatbestände des § 46 Abs. 2 Nr. 1 bis 7 EStG für das Streitjahr 2014 keine Pflicht zur Abga­be von Steuererklärungen. Insbesondere war nach den vorstehenden Ausfüh­rungen kein Fall des § 32d Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 46 Abs. 2 Nr. 1 Alternative 1 EStG gegeben, da die Erblasserin nach den bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) im Streitjahr 2014 zusätzlich zu ihren Versorgungsbezü­gen nur Einkünfte aus Kapitalvermögen gemäß § 20 EStG bezogen hatte, die der Kapitalertragsteuer unterlegen hatten.

bb) Im Fall einer Antragsveranlagung gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG ‑‑wie im Streitfall‑‑ kommt die Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO von vornherein nicht zur Anwendung (dazu grundlegend Senatsurteil vom 14.04.2011 ‑ VI R 53/10, BFHE 233, 311, BStBl II 2011, 746).

cc) Die erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist eingereichte Steuererklärung konnte ‑‑wie oben ausgeführt‑‑ auch angesichts des bei dieser Gelegenheit gestellten Antrags nach § 32d Abs. 6 EStG ebenfalls nicht mehr nachträglich eine rückwirkende Hemmung des Beginns der Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO bewirken.

b) Ein späterer Beginn der Festsetzungsfrist für das Streitjahr 2014 kommt des Weiteren nicht wegen eines rückwirkenden Ereignisses im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 2 AO in Betracht.

aa) Der Antrag auf Günstigerprüfung gemäß § 32d Abs. 6 EStG selbst ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH kein rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO (vgl. BFH-Urteile vom 12.05.2015 ‑ VIII R 14/13, BFHE 250, 64, BStBl II 2015, 806, Rz 24; vom 14.07.2020 ‑ VIII R 6/17, BFHE 268, 538, BStBl II 2021, 92, Rz 24, und vom 26.09.2023 ‑ VIII R 10/21, Rz 20; ebenso BFH-Urteil vom 21.08.2019 ‑ X R 16/17, BFHE 266, 163, BStBl II 2020, 99, Rz 45, zum Antrag gemäß § 32d Abs. 4 EStG). Gemeint ist hiermit der Fall, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Antragstellung gemäß § 32d Abs. 6 EStG bereits vor Eintritt der Bestandskraft der Steuerfestsetzung vorliegen, also die Hinzurechnung der Kapitalerträge zu den übrigen Einkünften aufgrund der der bestandskräftigen Steuerfestsetzung zugrundeliegenden Besteuerungsgrundlagen zu einer niedrigeren Steuerfest­setzung führt, und es allein an der notwendigen Antragstellung fehlt. Wird der Antrag in diesem Fall nach Eintritt der Bestandskraft erstmals gestellt, ist die Antragstellung gemäß § 32d Abs. 6 EStG kein Ereignis mit steuerlicher Rück­wirkung im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO (BFH-Urteil vom 14.07.2020 ‑ VIII R 6/17, BFHE 268, 538, BStBl II 2021, 92, Rz 24).

Hiervon abzugrenzen ist der Fall, dass die Festsetzung der Steuer in einem Än­derungsbescheid aufgrund darin berücksichtigter veränderter Besteuerungs­grundlagen dem Steuerpflichtigen nach Eintritt der Bestandskraft erstmals eine erfolgreiche Antragstellung gemäß § 32d Abs. 6 EStG ermöglicht (s. BFH-Urteile vom 14.07.2020 ‑ VIII R 6/17, BFHE 268, 538, BStBl II 2021, 92, Rz 23 und 25 bis 27, und vom 26.09.2023 ‑ VIII R 10/21, Rz 18). In diesem Fall ist nicht allein die Antragstellung, sondern die Steuerfestsetzung in einem Änderungsbescheid das rückwirkende Ereignis, wenn der Änderungsbescheid eine erstmalige erfolgreiche Antragstellung gemäß § 32d Abs. 6 EStG ermög­licht (BFH-Urteil vom 26.09.2023 ‑ VIII R 10/21, Rz 18).

bb) Vorliegend wurde der Antrag auf Günstigerprüfung von den Klägern erst­mals nach Eintritt der Bestandskraft gestellt. Die Voraussetzungen für eine Ausübung des Wahlrechts nach § 32d Abs. 6 EStG lagen hier ersichtlich bereits vor Eintritt der Bestandskraft vor. Die Antragstellung selbst ist daher kein rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO. Die beson­dere Konstellation eines Änderungsbescheids, der die wirksame Stellung eines Antrags gemäß § 32d Abs. 6 EStG erstmals ermöglicht und als rückwirkendes Ereignis in Betracht käme, lag im Streitfall nicht vor. Vielmehr hatte das FA die Durchführung der Einkommensteuerveranlagung für das Streitjahr 2014 abge­lehnt.

c) Für das Streitjahr 2015 hat die Vorinstanz hingegen zu Unrecht einen An­spruch der Kläger auf Durchführung einer Einkommensteuerveranlagung zu­gunsten der Erblasserin unter Vornahme der Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG abgelehnt. Für dieses Jahr begann die Festsetzungsverjährung aufgrund der Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO erst mit Ab­lauf des Jahres 2018, da eine Pflicht zur Abgabe der Einkommensteuererklä­rung bestand.

aa) Eine Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung ergibt sich für solche Ein­künfte aus Kapitalvermögen, die dem abgeltenden Steuerabzug nach § 43 Abs. 5 Satz 1 EStG nicht unterlegen haben, gemäß § 32d Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG, wenn der Betrag von 410 € überschritten wird.

Ungeachtet des erst mit Wirkung vom Veranlagungszeitraum 2019 durch Art. 1 Nr. 15 des Gesetzes zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromo­bilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 12.12.2019 (BGBl I 2019, 2451) neu angefügten Satzes 3 des § 32d Abs. 3 EStG (vgl. da­zu BRDrucks 356/19 (Beschluss), S. 12) haben auch schon zuvor mangels Steuerab­zugs unversteuert gebliebene, aber dem besonderen Steuertarif nach § 32d Abs. 1 EStG unterliegende Kapitaleinkünfte oberhalb der Freigrenze von 410 € zur Pflichtveranlagung gemäß § 32d Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 46 Abs. 2 Nr. 1 Al­ternative 1 EStG geführt (ebenso Pfirrmann in Kirchhof/Seer, EStG, 24. Aufl., § 32d Rz 17; a.A. Kühner/Gabert-Pipersberg in Herrmann/Heuer/Raupach, § 32d EStG Rz 70; Oellerich in Bordewin/Brandt, § 32d EStG Rz 107a, wonach eine bereits aufgrund von § 32d Abs. 3 Satz 1 EStG spezialgesetzlich bestehende Veranlagungspflicht unabhängig von der 410 €-Freigrenze des § 46 Abs. 2 Nr. 1 Alternative 1 EStG anzunehmen sei).

Dafür, dass solche mangels Steuerabzugs unversteuert gebliebenen Kapitaler­träge bereits seit Einführung der Abgeltungsteuer im Jahr 2009 in die "positive Summe der einkommensteuerpflichtigen Einkünfte" im Sinne des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG einzubeziehen waren, spricht maßgeblich eine dem Gesetzeszweck entsprechende Auslegung der Regelung in § 2 Abs. 5b EStG, die nur eine ein­kommensteuerliche Doppelerfassung von Kapitaleinkünften verhindern soll, die nach § 32d Abs. 1 EStG mit einem besonderen Steuersatz besteuert wurden oder die der Kapitalertragsteuer mit abgeltender Wirkung nach § 43 Abs. 5 EStG unterlegen haben (vgl. BTDrucks 16/4841, S. 46; Pfirrmann in Kirchhof/Seer, EStG, 24. Aufl., § 32d Rz 17). § 2 Abs. 5b EStG hindert mithin die Einbeziehung von mangels Steuerabzugs unversteuert gebliebenen Kapi­talerträgen in die "positive Summe der einkommensteuerpflichtigen Einkünfte" nicht.

bb) Nach den bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) haben die Kläger in der Einkommensteuererklärung für 2015 auch ausländische Kapital­erträge in Höhe von 2.683 € erklärt, die nicht dem inländischen Steuerabzug unterlegen haben, so dass nach den vorstehenden Ausführungen eine Pflicht zur Veranlagung nach § 32d Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 46 Abs. 2 Nr. 1 Alternati­ve 1 EStG bestand.

cc) Die Festsetzungsfrist begann insoweit daher gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO erst mit Ablauf des Jahres 2018 und endete mit Ablauf des Jahres 2022. Somit erfolgte die Abgabe der Steuererklärung für das Streitjahr 2015 durch die Kläger am 30.12.2020 rechtzeitig.

dd) Im Rahmen der vom FA durchzuführenden Pflichtveranlagung für 2015 ist die von den Klägern beantragte Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG oh­ne weiteres möglich.

3. Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2, § 121 Satz 1 FGO).

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO. Da die Revision teilweise ‑‑hinsichtlich des Streitjahrs 2015‑‑ Erfolg hat, kann auch die Kos­tenentscheidung des FG keinen Bestand haben. Die Kosten des gesamten Ver­fahrens sind verhältnismäßig entsprechend den jeweils auf die Veranlagungs­zeiträume 2014 und 2015 entfallenden Streitwerten aufzuteilen.

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