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BFH: Voraussetzungen von § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG

§ 20 Abs. 4a Satz 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) erfasst Fälle nicht, in denen weder der Emittent noch der Inhaber nach den Anleihebedingungen das Recht haben, anstelle der Rückzahlung der Anleihe in Geld einseitig Wert­papiere andienen oder die Lieferung von Wertpapieren verlangen zu können.

EStG § 20 Abs. 1 Nr. 7, Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Abs. 2 Satz 2, Abs. 4a Satz 3

BFH-Urteil vom 3.6.2025, VIII R 9/22 (veröffentlicht am 2.10.2025)

Vorinstanz: FG Nürnberg vom 30.3.2022, 3 K 1470/19 = SIS 22 15 32

I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) werden im Jahr 2015 (Streitjahr) zur Einkommensteuer zusammen veranlagt. Streitig ist, ob der Kläger aus ei­nem strukturierten Kapitalanlagegeschäft unbeschränkt ausgleichsfähige Ver­luste erzielt hat.

Am 08.12.2015 erwarb der Kläger 232 342 Teilschuldverschreibungen einer Indexanleihe für insgesamt 30.008.978,04 €. Nach den Emissionsbedingungen waren die Wertpapiere mit 15,74 % pro anno zu verzinsen. Über die Laufzeit ergaben sich Zinsen in Höhe von 245.802,73 €. Am Rückzahlungstermin hatte der Emittent nach den Anleihebedingungen und abhängig von der Entwicklung der Referenzwerte entweder nur Geld zu zahlen oder Wertpapiere zu liefern und Geld zu zahlen.

§ 3 Abs. 2 der Emissionsbedingungen lautet auszugsweise:

"a) …

b) …

c) Sofern der Referenzpreis des Basiswerts den Basispreis unterschreitet und auf bzw. über 85,00% des Basispreises liegt, entspricht der wirtschaftliche Gegenwert der Rückzahlung dem mit dem Bezugsverhältnis multiplizierten Re­ferenzpreis des Basiswerts, wobei 1,00 Indexpunkt EUR 1,00 entspricht. Die Rückzahlung erfolgt in diesem Fall durch Übertragung des Liefergegenstandes sowie Zahlung einer Gegenleistung in Höhe des darüber hinausgehenden Be­trags (der 'Rückzahlungsbetrag'). Der Rückzahlungsbetrag im Sinne dieses Absatzes entspricht der Differenz aus (i) dem Nennbetrag und (ii) dem mit dem Bezugsverhältnis multiplizierten von der Relevanten Referenzstelle am Bewertungstag festgestellten Schlusskurs des TecDAX®, wobei 1,00 Index­punkt EUR 1,00 entspricht."

Als Liefergegenstand war je Teilschuldverschreibung ein Open End-Partizipa­tionszertifikat auf den TecDAX vereinbart. Der Basiswert betrug 12 912 In­dexpunkte. Der Referenzpreis sollte nach § 3 Abs. 3 der Emissionsbedingun­gen am 18.12.2015 festgestellt werden. Am 18.12.2015 ergab sich nach den maßgeblichen Ständen von DAX und TecDAX ein Referenzpreis von 12 407,96 Indexpunkten. Dieser betrug weniger als 100 %, aber mehr als 85 % des Basispreises von 12 912 Indexpunkten. Dementsprechend erhielt der Kläger bei Fälligkeit (am 28.12.2015) je Teilschuldverschreibung ein Open End-Partizipationszertifikat auf den TecDAX zum Kurswert von 18,0832 € und eine Geldzahlung in Höhe von insgesamt 24.627.415,61 €.

Der Kläger war Alleingesellschafter der B GmbH (im Folgenden: GmbH). Mit Vertrag vom 29.12.2015 veräußerte er alle aus dem Geschäft vom 08.12.2015 erhaltenen TecDAX-Zertifikate an die GmbH für 4.233.271,24 €.

In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machten die Kläger aus der Veräußerung der TecDAX-Zertifikate an die GmbH einen Veräußerungsver­lust in Höhe von 25.775.706,80 € geltend, der tariflich zu besteuern und mit positiven Einkünften des Klägers aus anderen Einkunftsarten auszugleichen sei. Die Anschaffungskosten der ursprünglich erworbenen Teilschuldverschrei­bungen in Höhe von 30.008.978,04 € seien nach § 20 Abs. 4a Satz 3 des Ein­kommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (EStG) auf die TecDAX-Zertifikate übergegangen.

Der Beklagte und Revisionskläger (Finanzamt ‑‑FA‑‑) setzte die Einkommen­steuer für das Streitjahr mit Bescheid vom 08.11.2016 zunächst erklärungs­gemäß auf 29.398.146 € fest. Der Bescheid erging teilweise vorläufig und un­ter Vorbehalt der Nachprüfung.

Am 23.05.2017 erließ das FA einen nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) geänderten Einkommensteuerbescheid, mit dem es die nach dem Split­tingtarif festgesetzte Einkommensteuer wegen eines höheren gewerblichen Veräußerungsgewinns auf 30.151.346 € erhöhte. Die Kapitaleinkünfte und die darauf entfallende Steuer blieben unverändert. Der Vorbehalt der Nachprüfung blieb bestehen.

Nach einer Betriebsprüfung vertrat der Prüfer die Auffassung, dass der Verlust aus der Veräußerung der TecDAX-Zertifikate an die GmbH mit dem gesonder­ten Tarif zu besteuern sei. § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG sei nicht anzuwenden. Die Veräußerung der TecDAX-Zertifikate an die GmbH sei ein Gestaltungsmissbrauch. Bei der gebotenen einheitlichen Betrachtung ergebe sich aus den im Streitfall verwirklichten Transaktionen ein Gesamtverlust in Höhe von 902.489 €, der mit dem gesonderten Tarif zu besteuern sei. Dem folgend erhöhte das FA die festgesetzte Einkommensteuer mit nach § 164 Abs. 2 AO geändertem Bescheid vom 05.04.2019 auf 35.272.043 € (tarifliche Einkommensteuer: 31.115.015 € sowie nach dem gesonderten Tarif berechne­te Einkommensteuer: 4.161.835 €).

Hiergegen legten die Kläger am 07.05.2019 Einspruch ein und erhoben zu­gleich Sprungklage, der das FA nicht zugestimmt hat. Am 08.11.2019 haben die Kläger Untätigkeitsklage erhoben. Das FA wies den Einspruch mit Ein­spruchsentscheidung vom 19.12.2019 als unbegründet zurück.

Im Klageverfahren war vor allem streitig, ob der Kläger beim Erwerb der In­dexanleihe mit Einkünfteerzielungsabsicht gehandelt habe und ob § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 EStG wegen Missbrauchs von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts nicht anzuwenden sei.

Das Finanzgericht (FG) Nürnberg hat der Klage stattgegeben. Der Kläger habe die Indexanleihe mit Einkünfteerzielungsabsicht erworben. Es habe sich um eine "übliche Kapitalanlage" gehandelt, deren Entwicklung beim Erwerb nicht vorhersehbar gewesen sei und die für den Kläger auch einen Gewinn hätte er­bringen können. Das FG hat weiter (stillschweigend) angenommen, die Einlö­sung der Indexanleihe zu den in den Emissionsbedingungen festgelegten Kon­ditionen (gegen Lieferung von TecDAX-Zertifikaten und Zahlung eines Barbe­trages) unterfalle § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG. Die Barzahlung gelte als Kapital­ertrag (§ 20 Abs. 4a Satz 2 EStG) und sei mit dem gesonderten Tarif zu be­steuern. Die Anschaffungskosten der Indexanleihe seien in voller Höhe auf die TecDAX-Zertifikate übergegangen. Aus der Veräußerung der TecDAX-Zertifika­te an die vom Kläger allein beherrschte GmbH habe der Kläger deshalb einen (der Höhe nach unstreitigen) steuerbaren Veräußerungsverlust in Höhe von 25.775.706,80 € erzielt. Darauf sei der gesonderte Tarif nicht anzuwenden (§ 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG). Die Veräußerung der TecDAX-Zer­tifikate an die GmbH sei kein Gestaltungsmissbrauch. Der Verlust könne mit positiven Einkünften der Kläger aus anderen Einkunftsarten ausgeglichen wer­den. Die Begründung ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2022, 1681 veröffentlicht.

Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung von Bundesrecht (§ 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b Satz 1 EStG und § 42 Abs. 1 Satz 2 AO). Die Veräuße­rung der TecDAX-Zertifikate an die GmbH sei missbräuchlich. Ein Missbrauch ergebe sich darüber hinaus auch aus der "bewussten Ausnutzung der Rege­lung des § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG in Zusammenhang mit § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG". Erst durch die Anwendung dieser Vorschrift entstehe rechnerisch ein tariflich zu besteuernder Verlust in Höhe von 25.775.707 € und ein dem gesonderten Tarif unterliegender (fiktiver) Kapitalertrag in Höhe von 24.627.416 €, obwohl aus der Gesamttransaktion ein Verlust in Höhe von 902.489 € entstanden sei. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sollten von § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG Tauschvorgänge erfasst werden, bei denen kein Geld fließe oder allenfalls ein zusätzlicher Spitzenausgleich gezahlt werde. Wirt­schaftlich handele es sich im Streitfall aber nicht um einen "Tausch mit Spit­zenausgleich", sondern um einen "Verkauf mit Sachzugabe". Ein Tausch sei nur pro forma vereinbart worden.

Das FA beantragt,
das Urteil des FG Nürnberg vom 30.03.2022 ‑ 3 K 1470/19 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen,
die Revision des FA zurückzuweisen.

Die Kläger sind zunächst dem Vorbringen des FA entgegengetreten. Nachdem das FG Düsseldorf in einem vergleichbaren Fall die Anwendbarkeit des § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG abgelehnt hatte (FG Düsseldorf, Urteil vom 08.11.2023 ‑ 2 K 696/19 E, EFG 2024, 371), haben die Kläger ergänzend vorgetragen. Die Emissionsbedingungen räumten dem Emittenten ein (durch den Stand des Re­ferenzpreises des Basiswertes am Bewertungsstichtag bedingtes, im späteren Ge­schehensablauf auch tatsächlich entstandenes) Recht ein, bei Fälligkeit der Anleihe anstelle der Zahlung eines Geldbetrages Wertpapiere anzudienen. Das Recht in § 3 Abs. 2 der Emissionsbedingungen der Indexanleihe erfülle die Vo­raussetzungen des § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG.

Welche Tilgungsmodalität zum Tragen komme und ob "dem Emittenten daher ein Andienungsrecht gewährt" werde, sei von einem exogenen, der Willensent­scheidung des Emittenten entzogenem Ereignis, nämlich dem Stand des Refe­renzkurses des Basiswertes am Bewertungsstichtag im Vergleich zum Basispreis, abhängig gemacht worden. Der Emittent habe sein Andienungsrecht "ausge­übt", indem er dem Kläger am Fälligkeitstag die TecDAX-Zertifikate angedient und die vereinbarte Zahlung geleistet habe.

Selbst wenn man davon ausgehe, dass bei Fälligkeit der Anleihe kein Erfül­lungswahlrecht des Emittenten mehr bestanden habe, weil die Rückzahlungs­modalitäten bereits am Bewertungsstichtag feststanden, seien die Vorausset­zungen der Vorschrift erfüllt. Die Norm setze nicht voraus, dass ein Wahlrecht bei Fälligkeit ausgeübt werde. Die Bestimmung "bei Fälligkeit" beziehe sich auf das Verb "andienen", nicht auf das Innehaben oder Ausüben eines Wahlrechts. Es komme letztlich nur darauf an, dass bei Fälligkeit anstelle der Zahlung ei­nes Geldbetrages Wertpapiere geliefert würden. Die Norm verlange auch nicht die "Ausübung eines der Willensentscheidung unterworfenen freien Wahlrech­tes durch den Emittenten". Dem Wortlaut der Norm sei auch genügt, wenn in den Emissionsbedingungen das Recht des Emittenten begründet worden sei, bei Fälligkeit anstelle eines Geldbetrages Wertpapiere anzudienen, und wenn der Emittent von diesem Recht tatsächlich Gebrauch gemacht habe.

Sollte doch eine Wahlrechtsausübung erforderlich sein, habe der Emittent sein Wahlrecht "aufgrund der Ausgestaltung der Emissionsbedingungen (antizi­piert)" ausgeübt und zwar in dem Moment, in dem die im Rahmen der Emissi­onsbedingungen definierte Bedingung eintrat, wonach es zwangsläufig zur Lie­ferung von Wertpapieren kommt. Von dem Wahlrecht habe er spätestens da­durch Gebrauch gemacht, dass er die Wertpapiere bei Fälligkeit auch tatsäch­lich geliefert habe.

Eine einschränkende Auslegung des § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG dahin, dass der Emittent bei Fälligkeit von einer Auswahlmöglichkeit Gebrauch machen müsse, widerspreche dem Sinn und Zweck der Norm.

II. Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Das FG hat das Vorliegen der Einkünfteerzielungsabsicht bindend festgestellt (1.). Entgegen der Auffassung des FG ist § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG auf den Streitfall aber nicht anzuwenden (2.). Die Sache ist spruchreif, die Klage ist abzuweisen (3.).

1. a) Nach der Rechtsprechung des Senats wird die Einkünfteerzielungsabsicht bei den Einkünften aus Kapitalvermögen nach Einführung der Abgeltungsteuer widerlegbar vermutet (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 08.05.2024 ‑ VIII R 28/20, zur amtlichen Veröffentlichung vorgesehen, BFH/NV 2024, 1370, Rz 29).

b) Im Streitfall hat das FG festgestellt, dass es sich bei den am 08.12.2015 vom Kläger erworbenen Teilschuldverschreibungen der Indexanleihe um üb­liche Kapitalanlagen gehandelt habe, bei denen nicht vorhersehbar gewesen sei, ob sie sich für den Anleger positiv oder negativ entwickeln würden. Ein wirtschaftlicher Gewinn des Anlegers sei deshalb möglich gewesen. An diese auf tatsächlichem Gebiet liegenden Feststellungen und Würdigungen des FG ist der BFH im Revisionsverfahren gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO). Danach liegen keine tatsächlichen Anhaltspunkte vor, dass ein Verlust von vornherein fest­stand oder beabsichtigt war. Das FG hat deshalb ohne Rechtsfehler die Vermu­tung für das Vorliegen der Einkünfteerzielungsabsicht als nicht widerlegt ange­sehen.

2. Soweit das FG die Anwendbarkeit von § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG im Streitfall (stillschweigend) bejaht hat, hält das Urteil revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Gemäß § 20 Abs. 4a Satz 3 Halbsatz 1 EStG ist, wenn der Inhaber bei einer sonstigen Kapitalforderung nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG das Recht besitzt, bei Fälligkeit anstelle der Zahlung eines Geldbetrages vom Emittenten die Liefe­rung von Wertpapieren zu verlangen oder der Emittent das Recht besitzt, bei Fälligkeit dem Inhaber anstelle der Zahlung eines Geldbetrages Wertpapiere anzudienen und der Inhaber der Forderung oder der Emittent von diesem Recht Gebrauch macht, das Entgelt für den Erwerb der Forderung als Veräuße­rungspreis der Forderung und als Anschaffungskosten der erhaltenen Wertpa­piere anzusetzen.

b) Im Streitfall ergeben die Anleihebedingungen, dass der Emittent der Anleihe nach dem Ergebnis der Bewertung am 18.12.2015 bei Fälligkeit der Anleihe (am 28.12.2015) verpflichtet war, an den Inhaber je Teilschuldverschreibung ein TecDAX-Zertifikat zu liefern und einen bestimmten Geldbetrag zu bezah­len. Der Emittent hatte weder am 28.12.2015 noch davor das Recht, anstelle dieser Leistungen die Anleihe in Geld zurückzuzahlen; der Inhaber hätte vom Emittenten auch zu keinem Zeitpunkt die Rückzahlung ausschließlich in Geld verlangen können. Vielmehr stand nach den vereinbarten Bedingungen und der Bewertung am 18.12.2015 für beide Seiten bindend fest, dass sich das Szenario gemäß § 3 Abs. 2 Buchst. c der Anleihebedingungen verwirklicht hat­te, für welches die Rechtsfolgen zwingend vorgegeben waren. Innerhalb des Vertrags hatten weder der Emittent noch der Inhaber die Möglichkeit, einseitig auf die Modalitäten der Erfüllung ändernd einzuwirken. Dies ergibt sich ohne Auslegung unmittelbar aus dem Vertrag.

Aber selbst wenn darin eine Auslegung zu sehen wäre, wäre der Senat befugt, die Anleihebedingungen selbst auszulegen. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH unterliegt die Auslegung von Vereinbarungen mit korporationsrecht­lichem Inhalt der freien Nachprüfung durch das Revisionsgericht. Der Grund dafür ist, dass solche Regeln für einen unbestimmten Personenkreis, insbe­sondere für die Gläubiger und künftigen Gesellschafter, bestimmt sind und deshalb einheitlich ausgelegt werden müssen (BFH-Urteile vom 21.01.2016 ‑ I R 22/14, BFHE 253, 82, BStBl II 2017, 336, Rz 18; vom 28.11.2007 ‑ I R 94/06, BFHE 220, 51, unter II.3.a). Nichts anderes gilt für Anleihebedin­gungen, die als Allgemeine Geschäftsbedingungen objektiv und nicht am Wil­len der konkreten Vertragsparteien orientiert auszulegen sind. Die hier zu be­urteilenden Anleihebedingungen liegen ‑‑senatsbekannt‑‑ (im Wesentlichen gleich) auch den Verfahren VIII R 18/23 und VIII R 35/23 zugrunde. Da ihr Anwendungsbereich im Streitfall zudem über den örtlichen Zuständigkeitsbe­reich des FG hinausgeht, könnte sie der Senat deshalb selbst auslegen (vgl. auch Urteil des Bundesgerichtshofs ‑‑BGH‑‑ vom 30.06.2009 ‑ XI ZR 364/08, Der Betrieb 2009, 1701, unter II.1.a, m.w.N.).

c) Dies zugrunde gelegt, wirft der Streitfall vor allem die Frage auf, ob die Vo­raussetzungen des § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG vorliegen, obwohl unstreitig in­nerhalb des laufenden Vertrags weder der Emittent noch der Inhaber die Mög­lichkeit hatten, einseitig auf die Modalitäten der Erfüllung der Rückzahlungs­verpflichtung ändernd einzuwirken. Streitig ist danach zunächst, ob § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG ein einseitiges Recht des Inhabers oder des Emittenten voraussetzt, anstelle der Rückzahlung von Geld die Lieferung von Wertpapie­ren verlangen oder andienen zu können. Wird dies bejaht, käme im Streitfall allenfalls eine antizipierte Ausübung eines Andienungsrechts des Emittenten, zum Beispiel durch die einseitige Ausgestaltung der Anleihebedingungen in Betracht. Das würde voraussetzen, dass (1) ein Andienungsrecht des Emitten­ten schon vor Festlegung der Anleihebedingungen bestehen kann und, wenn dies bejaht wird, (2) dass der Emittent von diesem Andienungsrecht im Sinne der Vorschrift Gebrauch macht, indem er in den Anleihebedingungen einseitig nicht mehr änderbare Erfüllungsmodalitäten vorgibt. Diese Fragen werden, soweit sie überhaupt aufgeworfen werden, in Rechtsprechung und Schrifttum unterschiedlich beantwortet.

d) Die Rechtsprechung hat § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG bisher nicht einheitlich angewandt.

aa) In Fällen, in denen entweder der Inhaber oder der Emittent frei und einsei­tig zwischen der Rückzahlung der Anleihe oder der Lieferung von Wertpapieren bei Fälligkeit wählen konnten, hat die Rechtsprechung die Voraussetzungen von § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG jeweils bejaht, ohne dazu im Einzelnen Stellung zu nehmen (Fälle mit Inhaber-Wahlrecht: FG München, Urteil vom 27.10.2023 ‑ 8 K 797/22, EFG 2024, 565, Revisionsverfahren beim BFH VIII R 33/23; FG München, Urteil vom 24.07.2024 ‑ 1 K 260/21, nicht veröf­fentlicht und dazu BFH-Urteil vom 03.06.2025 ‑ VIII R 23/24, nicht zur amtli­chen Veröffentlichung vorgesehen; FG München, Urteil vom 06.12.2023 ‑ 9 K 1034/22, EFG 2024, 1575 und BFH-Urteil vom 03.06.2025 ‑ VIII R 5/24, zur amtlichen Veröffentlichung vorgesehen; Fall mit Emittenten-Wahlrecht: FG München, Urteil vom 29.09.2020 ‑ 5 K 2870/19, EFG 2021, 111 und nachfol­gend BFH-Urteil vom 08.05.2024 ‑ VIII R 28/20, zur amtlichen Veröffentli­chung vorgesehen, BFH/NV 2024, 1370).

bb) In anderen Fällen, in denen weder der Inhaber noch der Emittent aufgrund der Anleihebedingungen frei und einseitig zwischen der Rückzahlung der An­leihe in Geld oder der Lieferung von Wertpapieren wählen konnten, sondern in denen (unter anderem) die Lieferung von Wertpapieren in Abhängigkeit von der Entwicklung der Basiswerte für beide Seiten bindend und eindeutig (wenn auch unter Bedingungen) in den Anleihebedingungen festgelegt war, haben die Finanzgerichte unterschiedlich entschieden (Anwendbarkeit von § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG bejaht: FG Nürnberg, Urteil vom 30.03.2022 ‑ 3 K 1470/19, EFG 2022, 1681 (Streitfall); FG Düsseldorf, Urteil vom 06.06.2023 ‑ 13 K 84/22 E, EFG 2023, 1308 und dazu nachfolgend BFH-Urteil vom 03.06.2025 ‑ VIII R 18/23, nicht zur amtlichen Veröffentlichung vorgesehen; anderer Ansicht: FG Düsseldorf, Urteil vom 08.11.2023 ‑ 2 K 696/19 E, EFG 2024, 371 und BFH-Urteil vom 03.06.2025 ‑ VIII R 35/23, nicht zur amtlichen Veröffentlichung vorgesehen).

e) Im Schrifttum wird die antizipierte Ausübung eines Andienungsrechts des Emittenten überwiegend nicht erörtert. Einige Stimmen lassen insoweit aller­dings Spielraum für Interpretationen.

(1) Nach Geurts in Bordewin/Brandt, § 20 EStG Rz 766a soll die Ausübung ei­nes Andienungsrechts (wohl) auch im Fall einer "Zwangsumtausch-Anleihe" zu bejahen sein, bei der es beim Eintritt eines bestimmten Ereignisses zur Liefe­rung von Wertpapieren kommt. Das impliziert, dass der Emittent bei der Fest­legung der Anleihebedingungen von einem vorvertraglichen Andienungswahl­recht Gebrauch macht. Eine Begründung dafür findet sich in der Kommentie­rung allerdings nicht.

(2) Nach Steinlein (Deutsches Steuerrecht 2009, 509) setzt § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG die Ausübung eines Gestaltungsrechts voraus. Spielraum für In­terpretationen bietet allenfalls eine Aussage zum Anschaffungszeitpunkt. Im Fall der Andienung, so Steinlein, seien die Wertpapiere gemäß § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG angeschafft, sobald nach den Emittentenbedingungen feststehe, dass es zur Lieferung kommen werde (zustimmend Jachmann-Michel in Lademann, EStG, § 20 EStG Rz 1439 und Jochum in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 20 Rz Fa 41). Das kann Unterschiedliches bedeuten. Hat der Emittent ein freies Wahlrecht, ob er anstelle der Rückzah­lung in Geld Wertpapiere liefern will, und entscheidet er sich dafür, steht nach den Anleihebedingungen fest, dass es zur Lieferung von Wertpapieren kom­men wird, sobald der Emittent von seinem Wahlrecht Gebrauch gemacht hat. Hat der Emittent dagegen kein Wahlrecht, steht nach den Anleihebedingungen fest, dass es zur Lieferung von Wertpapieren kommen wird, sobald die Bedin­gungen eingetreten sind, unter denen der Emittent Wertpapiere zu liefern hat. Den Aussagen kann nicht entnommen werden, dass der Autor auch für diesen Fall die Anwendbarkeit von § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG bejaht.

(3) Ganz überwiegend wird § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG dagegen so verstanden, dass die Kapitalforderung mit einem Gestaltungs- oder An­dienungsrecht ausgestattet sein muss (so wörtlich Moritz/Strohm in Frotscher/Geurts, EStG, § 20 Rz 329; KKB/Peters, § 20 EStG, 7. Aufl., Rz 337: Schuldverschreibung mit Inhaber- oder Emittentenwahlrecht; Schmidt/Levedag, EStG, 44. Aufl., § 20 Rz 217). Gleich bedeutend formuliert Buge in Herrmann/Heuer/Raupach ‑‑HHR‑‑, § 20 EStG Rz 586, dass von § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG nur Schuldverschreibungen erfasst werden, deren Emis­sionsbedingungen entweder dem Gläubiger oder dem Emittenten ein Rück­zahlungswahlrecht einräumen (ebenso HHR/Fissenewert, § 20 EStG Rz J21‑4). Die Vertreter dieser Auffassung müssen bereits die erste Frage verneinen. Wenn das Andienungsrecht im Sinne der Vorschrift in den Anleihebedingungen vorgesehen sein muss, kann es nicht zugleich durch die einseitige Festlegung von Anleihebedingungen ausgeübt werden (ebenso BeckOK EStG/Schmidt, 21. Ed. 01.04.2025, EStG § 20 Rz 1351a).

f) Der Senat schließt sich der zuletzt genannten und im Schrifttum überwie­genden Auffassung an. Danach erfasst § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG Fälle nicht, in denen weder der Emittent noch der Inhaber nach den Anleihebedingungen das Recht haben, anstelle der Rückzahlung der Anleihe in Geld einseitig Wertpapiere andienen oder die Lieferung von Wertpapieren verlangen zu können. Das ergibt die Auslegung der Norm, die sich vor allem auf ihren Wortlaut stützt.

aa) Gesetzlich vorausgesetzt ist "bei sonstigen Kapitalforderungen" entweder ein "Recht" des Inhabers, vom Emittenten "anstelle" der Zahlung eines Geld­betrages die Lieferung von Wertpapieren verlangen zu können oder ein "Recht" des Emittenten, dem Inhaber "anstelle" der Zahlung eines Geldbetra­ges (solche) Wertpapiere andienen zu dürfen. Von diesem Recht muss der je­weils Berechtigte Gebrauch gemacht haben mit der Folge, dass anstelle der eigentlich vereinbarten Geldzahlung bei Fälligkeit der Anleihe Wertpapiere zu übertragen sind.

bb) Es muss sich um ein einseitiges Recht handeln. Das ergibt sich aus dem Wort "andienen". Zwar fehlt im Gesetz und in der Rechtsprechung eine ver­bindliche Definition für den Begriff des "Andienungsrechts". Die höchstrichter­liche Rechtsprechung hat bisher jedoch nur dann von einem Andienungsrecht gesprochen, wenn in einem bestehenden Rechtsverhältnis die eine Seite be­rechtigt, aber nicht verpflichtet war, der anderen Seite Wertpapiere zum Er­werb anzubieten und die andere Seite dieses Angebot (auf der Verpflichtungs­ebene) nicht ablehnen konnte. Typisch für ein Andienungsrecht ist danach, dass der Berechtigte davon Gebrauch machen kann, aber nicht muss und dass die Gegenseite dem ausgeübten Andienungsrecht nichts entgegen setzen kann (vgl. die Legaldefinition in § 47 Abs. 1 des Börsengesetzes; die amtliche Über­schrift von § 39c des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes; aus der Rechtsprechung BFH-Urteile vom 08.05.2024 ‑ VIII R 28/20, zur amtlichen Veröffentlichung vorgesehen, BFH/NV 2024, 1370 zu Anleihen; vom 14.08.2019 ‑ I R 44/17, BFHE 267, 1 zu Put Optionen; BGH-Urteil vom 30.09.2020 ‑ VIII ZR 48/18, Neue Juristische Wochenschrift 2021, 552 und BFH-Urteile vom 13.10.2016 ‑ IV R 33/13, BFHE 255, 386, BStBl II 2018, 81 zum Kraftfahrzeug-Leasingvertrag; vom 08.06.2017 ‑ IV R 30/14, BStBl II 2017, 1061 zu Container-Andienungsverträgen; vom 06.09.2016 ‑ IX R 44/14, BFHE 255, 148, BStBl II 2018, 323 zu einem geschlossenen Immobilienfonds).

Von einem "Andienungsrecht" kann dagegen, anders als die Kläger meinen, nicht gesprochen werden, wenn in einem zweiseitigen Vertrag die eine Seite verpflichtet ist, der anderen Seite Wertpapiere zu liefern. Sie hat dann zwar (in Bezug auf das Zustandekommen des dinglichen Erfüllungsgeschäfts) auch das "Recht", die Wertpapiere anzubieten, macht insofern aber nicht von einem Andienungsrecht Gebrauch, sondern erfüllt ihre Lieferverpflichtung. Das ding­liche Erfüllungsgeschäft kann nicht einseitig zustande gebracht werden. Dies schließt es aus, davon zu sprechen, dass der zur Lieferung von Wertpapieren verpflichtete Schuldner von einem Andienungsrecht Gebrauch macht, wenn er dem Gläubiger die Übereignung der (ohnehin) geschuldeten Wertpapiere an­bietet. Es handelt sich dann nur um das Angebot zum Abschluss des dinglichen Erfüllungsgeschäfts, das noch vom Gläubiger angenommen werden muss.

cc) Das Recht des Emittenten, dem Inhaber anstelle der Geldzahlung die Liefe­rung von Wertpapieren andienen zu können, muss sich außerdem aus den An­leihebedingungen ergeben.

Nach dem eindeutigen Wortlaut von § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG muss eine sons­tige Kapitalforderung (§ 20 Abs. 1 Nr. 7, § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG) be­reits entstanden sein ("bei sonstigen Kapitalforderungen"). Gemeint ist der Anspruch des Inhabers der Schuldverschreibung auf Rückzahlung der Anleihe bei ihrer Fälligkeit. Der Anleihevertrag muss zustande gekommen sein. Davor gibt es keinen Rückzahlungsanspruch des Inhabers der Schuldverschreibung in Geld. Vorher kann auch kein Recht des Emittenten bestehen, "anstelle" der Rückzahlung in Geld etwas anderes "andienen" zu dürfen. Auch die im Gesetz verwendeten Bezeichnungen "Emittent" oder "Inhaber" setzen das Rechtsver­hältnis, in dem sich zwei Personen in diesen Rollen gegenüberstehen, bereits voraus. Vor dem Abschluss des Anleihevertrags können die zukünftigen Ver­tragspartner noch nicht (wie im Gesetz geschehen) als "Emittent" oder "Inha­ber" bezeichnet werden. Das spricht zusammen genommen hinreichend ein­deutig dafür, dass sich das von der Norm vorausgesetzte Recht des Emitten­ten, aus den Anleihebedingungen ergeben muss.

Ein vorvertragliches Andienungsrecht des Emittenten kann deshalb nicht an­genommen werden. In der einseitigen Festlegung von Anleihebedingungen durch den (zukünftigen) Emittenten liegt dann auch keine antizipierte Aus­übung eines Andienungsrechts im Sinne der Vorschrift. Wer als zukünftiger Emittent die Anleihebedingungen in seinem Interesse einseitig festlegt, übt (noch) kein Recht gegenüber einem zukünftigen Vertragspartner (Inhaber) aus, sondern macht allenfalls von einer faktischen Machtposition Gebrauch. Darin liegt schon begrifflich nicht die Ausübung eines Rechts, von dem nach dem Gesetz "Gebrauch gemacht" werden muss. Außerdem ergibt sich ‑‑wie dargestellt‑‑ aus dem Wortlaut des Gesetzes, dass die Möglichkeit, anstelle der Rückzahlung in Geld die Lieferung von Wertpapieren andienen zu können, in dem Rechtsverhältnis bestehen muss, auf welches es einwirkt. Gegen die An­nahme eines vorvertraglichen Andienungsrechts sprechen auch praktische Er­wägungen. Es bedürfte dann auch tatsächlicher Feststellungen dazu, ob der Emittent die Anleihebedingungen wirklich einseitig festgelegt hat. Das würde die Rechtsanwendung unnötig kompliziert machen und insbesondere die zum Kapitalertragsteuerabzug verpflichteten Stellen überfordern.

dd) Unerheblich ist, ob sich die Zeitbestimmung ("bei Fälligkeit") auf die Leis­tungshandlung ("verlangen" oder "andienen") oder auf die Ausübung des Wahlrechts bezieht. Sprachlich ist beides möglich. Das ändert aber nichts da­ran, dass § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG zumindest ein einseitiges Recht des Emit­tenten voraussetzt, anstelle der Rückzahlung von Geld Wertpapiere andienen zu dürfen, von dem bei Fälligkeit oder davor, aber nach Vertragsschluss, Ge­brauch gemacht worden sein muss.

ee) Einem (denkbaren) Verständnis, wonach die Norm nur voraussetzt, dass zur Erfüllung des Rückzahlungsanspruchs (ohne Ausübung eines einseitigen Rechts) Wertpapiere übereignet worden sind, kann der Senat nicht nähertre­ten. Dann würde die Formulierung des Gesetzes, das ‑‑wie dargelegt‑‑ das "Gebrauchmachen" von einem einseitigen Recht voraussetzt, weitgehend leer­laufen und sinnlos erscheinen. Dagegen spricht auch, dass der Gesetzgeber mit § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG bewusst an die ältere Rechtsprechung zur Wan­delschuldverschreibung angeknüpft hat, die die Anschaffung der Schuldver­schreibung und den Erwerb der Aktien nach Ausübung des Wandlungsrechts aus der Sicht des Aktionärs als Einheit aufgefasst und die Ausübung des Wandlungsrechts nicht als (eigenständigen) Realisationsakt behandelt hat (vgl. BFH-Urteil vom 21.02.1973 ‑ I R 106/71, BFHE 109, 22, BStBl II 1973, 460). Dementsprechend wollte der Gesetzgeber Umtausch- und Aktienanleihen so­wie Wandelanleihen im Sinne des § 221 Abs. 1 des Aktiengesetzes in den An­wendungsbereich der Norm einbeziehen (BTDrucks 16/11108, S. 16) und mit­hin explizit Schuldverschreibungen, die jeweils auf Inhaber- oder Emittenten­seite typischerweise ein Erfüllungswahlrecht voraussetzen.

Eine Auslegung der Vorschrift, die das Gebrauchmachen von einem einseitigen Recht für obsolet hielte, wäre vor diesem Hintergrund eine teleologische Er­weiterung, für die eine Veranlassung nicht ersichtlich ist. Der Senat hat be­reits, wenn auch in anderem Zusammenhang, entschieden, dass § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG nicht teleologisch auszulegen, einzuschränken oder zu erweitern ist (BFH-Urteil vom 08.05.2024 ‑ VIII R 28/20, zur amtlichen Veröffentlichung vorgesehen, BFH/NV 2024, 1370). Dies ist nicht zuletzt dem Umstand ge­schuldet, dass die Norm nach dem Willen des Gesetzgebers das Abzugsverfah­ren für Steuerpflichtige und Quellenabzugsverpflichtete praktikabel ausgestal­ten soll (vgl. die Gesetzesbegründung zum zunächst auf die Andienung von Aktien beschränkten Regierungsentwurf in BRDrucks 545/08, S. 73 und BTDrucks 16/10189, S. 50 sowie die Begründung des Finanzausschusses zur überarbei­teten Fassung, die den Anwendungsbereich der Vorschrift auf die Andienung von anderen Wertpapieren ausdehnt in BTDrucks 16/11108, S. 16). Diesen Zweck kann die Vorschrift zur Überzeugung des Senats nur erfüllen, wenn sie möglichst wörtlich verstanden wird.

g) Bei Anwendung der vorstehenden Grundsätze auf den Streitfall kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben. Die Anleihebedingungen sehen ‑‑was auch zwischen den Beteiligten nicht streitig ist‑‑ ein einseitiges Recht des Emittenten, anstelle der Geldzahlung Wertpapiere andienen zu können oder ein einseitiges Recht des Inhabers, anstelle der Geldzahlung Wertpapiere verlangen zu können, nicht vor. Der Tatbestand des § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG ist nicht erfüllt. Das FG ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Sein Urteil ist aufzuheben.

3. Die Sache ist spruchreif. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden und weist die Klage ab (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Der angefochtene Einkommensteuerbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Er ist zwar teilweise rechtswidrig, kann aber wegen der Bindung an das Klagebegehren und des im finanzgerichtlichen Verfahren geltenden Verböserungsverbots (§ 96 Abs. 1 Satz 2 FGO) nicht zum Nachteil der Kläger geändert werden.

a) Das FA hat bei der Ermittlung des Einkommens der Kläger zuletzt einen im Rahmen der Abgeltungsteuer zu berücksichtigenden Verlust in Höhe von 1.148.291 € zugrunde gelegt. Dieser ergab sich als Saldo aus dem vom Kläger vereinnahmten Geldbetrag (24.627.416 €) einerseits und dem unter Anwen­dung von § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG ermittelten Veräußerungsverlust (25.775.707 €) aus der Veräußerung der TecDAX-Zertifikate an die GmbH an­dererseits.

Bei zutreffender Rechtsanwendung hat der Kläger aus der Einlösung der Teil­schuldverschreibungen einen dem gesonderten Tarif unterliegenden Veräuße­rungsverlust in Höhe von mindestens 1.180.075,58 € (dazu b) und aus der Veräußerung der TecDAX-Zertifikate an die GmbH einen tariflich zu besteuern­den Gewinn in Höhe von mindestens 31.784,39 € erzielt (dazu c). Die Einkom­mensteuer der Kläger wäre danach im Streitjahr höher festzusetzen, was un­terbleiben muss (dazu d).

b) Aus der Einlösung der Anleihe am 28.12.2015 hat der Kläger einen nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG steuerbaren Veräuße­rungsverlust in Höhe von mindestens 1.180.075,58 € erzielt.

Nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG gehört zu den Einkünften aus Kapitalver­mögen auch der Gewinn aus der Veräußerung von sonstigen Kapitalforderun­gen jeder Art im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG. Zu den Kapitalforderungen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG gehören Kapitalforderungen jeder Art, wenn die Rückzahlung des Kapitalvermögens oder ein Entgelt für die Überlas­sung des Kapitalvermögens zur Nutzung zugesagt oder geleistet worden ist, auch wenn die Höhe der Rückzahlung oder des Entgelts von einem ungewissen Ereignis abhängt.

Die vom Kläger erworbenen Teilschuldverschreibungen der Anleihe sind sons­tige Kapitalforderungen in diesem Sinne. Nach § 3 der Emissionsbedingungen war der Emittent unter allen Bedingungen zumindest zur teilweisen Rückzah­lung des Anlagebetrages verpflichtet. Unerheblich ist, dass für die im Streitfall eingetretene Bedingung nach den Anleihebedingungen feststand, dass die For­derung teilweise durch die Lieferung eines Sachwertes (der Open End-Partizi­pationszertifikate) zu erfüllen war. Dies stellt den Charakter der Teilschuldver­schreibungen als Kapitalforderungen nicht in Frage (s. BFH-Urteil vom 03.06.2025 ‑ VIII R 5/24, zur amtlichen Veröffentlichung vorgesehen). Zudem wurde dem Kläger mit der Verzinsung ein Entgelt für die Überlassung des Ka­pitalvermögens zur Nutzung zugesagt. Die Einordnung als sonstige Kapitalfor­derung ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.

Der Kläger hat die Teilschuldverschreibungen der Anleihe veräußert. Als Ver­äußerung im Sinne des § 20 Abs. 2 Satz 1 EStG gilt auch die Einlösung (§ 20 Abs. 2 Satz 2 EStG). Die Hingabe der Teilschuldverschreibungen gegen Über­tragung der TecDAX-Zertifikate und Zahlung eines Geldbetrages bei Fälligkeit am 28.12.2015 erfüllt den Begriff der Einlösung, denn damit hat der Emittent sei­ne Rückzahlungspflicht erfüllt (vgl. auch BFH-Urteil vom 08.05.2024 ‑ VIII R 28/20, zur amtlichen Veröffentlichung vorgesehen, BFH/NV 2024, 1370, Rz 34 ff.).

Nach § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG ist der Gewinn im Sinne des § 20 Abs. 2 EStG der Unterschied zwischen den Einnahmen aus der Veräußerung nach Abzug der Aufwendungen, die im unmittelbaren sachlichen Zusammenhang mit dem Veräußerungsgeschäft stehen, und den Anschaffungskosten.

Einnahmen sind gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 EStG alle Güter in Geld oder Gel­deswert, die dem Steuerpflichtigen im Rahmen einer der Einkunftsarten des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 bis 7 EStG zufließen. Die Bewertung der erhaltenen TecDAX-Zertifikate richtet sich mangels abweichender Regelung nach dem im regulierten Markt für sie am Stichtag notierten niedrigsten Kurs (§ 1 Abs. 2, § 11 Abs. 1 Satz 1 des Bewertungsgesetzes ‑‑BewG‑‑). Stichtag war der Tag der Einbuchung in das Depot des Klägers (28.12.2015). Das FG hat für diesen Tag einen Kurs von 18,0832 € festgestellt. Ob es sich dabei um den niedrigs­ten notierten Kurs am Bewertungsstichtag handelt, kann dahinstehen. Ein niedrigerer Kurswert würde zwar den im Rahmen des gesonderten Tarifs (§ 32d Abs. 1 EStG) zu berücksichtigenden Verlust aus der Veräußerung erhö­hen, in selbem Umfang aber auch den tariflich zu besteuernden Gewinn aus der Veräußerung der TecDAX-Zertifikate an die GmbH (dazu c), so dass sich unter Berücksichtigung des persönlichen Steuersatzes für die Kläger insgesamt keine Verbesserung, sondern eine Verschlechterung ergäbe (dazu d).

Die Einnahmen aus der Veräußerung betrugen danach höchstens 28.828.902,44 € (232 342 Stück TecDAX-Zertifikate * 18,0832 € = 4.201.486,85 € zuzüglich 24.627.415,61 €). Abzüglich der Anschaffungskosten für die Teilschuldverschreibungen (30.008.978,04 €) ergibt sich ein Veräuße­rungsverlust in Höhe von mindestens 1.180.075,58 €.

c) Aus der Veräußerung der TecDAX-Zertifikate an die GmbH am 29.12.2015 hat der Kläger einen tariflich zu besteuernden Veräußerungsgewinn in Höhe von mindestens 31.784,39 € erzielt.

Die Veräußerung der TecDAX-Zertifikate an die GmbH ist ein nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG steuerbarer Veräußerungsvorgang. Auch die TecDAX-Zertifikate sind sonstige Kapitalforderungen. Darüber be­steht zwischen den Beteiligten zu Recht kein Streit.

Als Veräußerungserlös ist der von der GmbH gezahlte Kaufpreis (4.233.271,24 €) anzusetzen. Die Anschaffungskosten für die TecDAX-Zerti­fikate richten sich wiederum nach dem im regulierten Markt für sie am Stich­tag notierten niedrigsten Kurs (§ 1 Abs. 2, § 11 Abs. 1 Satz 1 BewG). Bei dem vom FG festgestellten Kurs ergibt sich ein Veräußerungsgewinn in Höhe von mindestens 31.784,39 €. Höhere Anschaffungskosten für die TecDAX-Zertifika­te können nicht berücksichtigt werden; § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG ist nicht an­zuwenden.

Der Gewinn aus der Veräußerung der TecDAX-Zertifikate unterliegt nach § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b Satz 1 EStG in der bis zum Jahressteuergesetz 2020 vom 21.12.2020 (BGBl I 2020, 3096) geltenden Fassung nicht dem ge­sonderten Tarif nach § 32d Abs. 1 EStG, da der Kläger im Streitjahr zu mindestens 10 % an der GmbH beteiligt war.

d) Die im Rahmen des gesonderten Tarifs (§ 32d Abs. 1 EStG) zu berücksich­tigenden Verluste wären danach zwar um mindestens 31.784,39 € höher an­zusetzen. Zugleich wären aber auch die dem persönlichen Splittingtarif der Kläger unterliegenden positiven Einkünfte um mindestens 31.784,39 € zu er­höhen. Da das FG für die Kläger eine durchschnittliche Steuerbelastung bezo­gen auf das zu versteuernde Einkommen von 44,9274 % festgestellt hat, kann offenbleiben, ob es sich bei dem vom FG für die TecDAX-Zertifikate festgestell­ten Kurs am 28.12.2015 um den niedrigsten Kurs an diesem Tag gehandelt hat. Ein niedrigerer Kurs würde beide Besteuerungsgrundlagen jeweils im sel­ben Umfang erhöhen, aber per Saldo zu einer weiteren Erhöhung der festzu­setzenden Steuer führen. Da eine Verböserung im finanzgerichtlichen Verfah­ren nicht stattfindet, bleibt die Steuerfestsetzung im angefochtenen Einkom­mensteuerbescheid für das Streitjahr unverändert.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

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