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BFH: Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, kein Erfordernis der Anforderung einer Lesebestätigung bei Übersendung eines Einspruchs per E Mail

Wird ein Einspruch per E-Mail eingelegt, so ist das Unterlassen der Anforde­rung einer Empfangs- oder Lesebestätigung ohne Einfluss auf das Verschulden der Fristversäumnis im Rahmen eines Wiedereinsetzungsantrags.

AO i.d.F. der Streitjahre § 87a Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1
AO § 110 Abs. 1 und Abs. 2, § 355 Abs. 1 Satz 1
FGO § 52a Abs. 5 Satz 2

BFH-Urteil vom 29.4.2025, VI R 2/23 (veröffentlicht am 9.10.2025)

Vorinstanz: Sächsisches FG vom 27.1.2023, 3 K 744/22 = SIS 23 21 21

I. Mit Einkommensteuerbescheiden vom 08.08.2018 setzte der Beklagte und Re­visionskläger (Finanzamt ‑‑FA‑‑) die Einkommensteuer des Klägers und Revi­sionsbeklagten (Kläger) für die Streitjahre (2015 bis 2017) fest. Dabei erkann­te er nicht alle vom Kläger geltend gemachten Werbungskosten an. Mit E‑Mail vom 10.08.2018 beantragte der Prozessbevollmächtigte des Klägers daraufhin die schlichte Änderung dieser Bescheide. Den dahingehenden Antrag lehnte das FA am 23.08.2018 ab.

Am 31.05.2019 teilte ein Mitarbeiter des Prozessbevollmächtigten des Klägers, der Zeuge Y, dem FA per E‑Mail mit, er habe am 29.05.2019 mit dem FA telefonisch Rücksprache gehalten und dabei erfahren, dass dort kein Ein­spruch gegen die Steuerbescheide vom 08.08.2018 für die Streitjahre vorlie­ge. Er bitte um Bearbeitung des Einspruchs, welcher dem FA bereits zum 30.08.2018 zugegangen sei. Als Anhang war dieser E‑Mail ein Ausdruck der vom Prozessbevollmächtigten unterschriebenen E‑Mail vom 30.08.2018 beige­fügt, mit der gegen die Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre Ein­spruch eingelegt und eine Begründung angekündigt wurde. Ausweislich dieses Ausdrucks wurde die E‑Mail am 30.08.2018 um 14:54 Uhr vom Account des Prozessbevollmächtigten an die Poststelle des FA versandt. Der Zeuge Y war darin "Cc" gesetzt. In dessen E‑Mail-Postfach ging die E‑Mail-Kopie am 30.08.2018 um 15:54 Uhr ein.

Am 26.06.2019 teilte das FA dem Prozessbevollmächtigten des Klägers mit, dass die E‑Mail beziehungsweise der Einspruch vom 30.08.2018 nicht beim FA eingegangen sei. Ein solcher sei vielmehr erst durch die E‑Mail vom 31.05.2019 und damit nach Ablauf der Einspruchsfrist eingelegt worden.

Nach Anhörung des Klägers verwarf das FA den Einspruch als unzulässig. Wie­dereinsetzung in den vorigen Stand gewährte es nicht.

Der hiergegen erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) statt.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.

Es beantragt,
das Urteil des Sächsischen FG vom 27.01.2023 ‑ 3 K 744/22 aufzuhe­ben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision des FA ist unbegründet und zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Fi­nanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Zwar hat der Kläger die Einspruchsfrist nicht gewahrt (dazu unter 1.). Das FG hat die Einspruchsentscheidung aber im Er­gebnis zu Recht aufgehoben, da dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren war (dazu unter 2.).

1. Der Kläger hat den Zugang der E‑Mail seines Prozessbevollmächtigten vom 30.08.2018 beim FA ‑‑und damit seines Einspruchs‑‑ nicht nachgewiesen. Die einmonatige Einspruchsfrist (§ 355 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung ‑‑AO‑‑) ist daher nicht gewahrt.

a) Gemäß § 355 Abs. 1 Satz 1 AO ist der Einspruch gegen einen Steuerbe­scheid innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts einzule­gen. Die Einspruchsfrist ist gewahrt, wenn der Einspruch der Fi­nanzbehörde (§ 357 Abs. 2 AO) rechtzeitig innerhalb der Frist zugegangen ist. Nach § 87a Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 AO i.d.F. der Streitjahre (ab 06.12.2024 gemäß Art. 16 Nr. 6, Art. 56 Abs. 1 des Jahressteu­ergesetzes 2024 vom 02.12.2024, BGBl. 2024 I Nr. 387: § 87a Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 1 AO) ist ein elektronisches Dokument zugegangen, sobald die für den Empfang bestimmte Einrichtung es in für den Empfänger bearbeitbarer Weise aufgezeichnet hat. Der Zugang einer E‑Mail setzt damit voraus, dass sie auf dem E‑Mail-Server des Empfängers oder des Providers eingegangen, das heißt abrufbar gespeichert, ist (Sächsisches Landessozialgericht ‑‑LSG‑‑, Urteil vom 12.10.2023 ‑ L 3 AS 1050/19, unter II.1.b (3.2) [Rz 36]; Urteil des Bun­dessozialgerichts vom 11.07.2019 ‑ B 14 AS 51/18 R; vgl. auch Reichold in: jurisPK‑BGB, 10. Aufl. 2023, § 130 BGB Rz 24; FG Baden-Württemberg, Urteil vom 15.04.2015 ‑ 1 K 23/13, Rz 47, m.w.N.).

b) Für den fristgerechten Zugang des Einspruchs trägt der Einspruchsführer die (objektive) Feststellungslast (z.B. Senatsbeschluss vom 22.06.2020 ‑ VI B 117/19, Rz 17 sowie Beschluss des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 11.03.2015 ‑ V B 83/14, Rz 10, m.w.N.). Dies gilt auch dann, wenn der Zu­gang einer E‑Mail in Rede steht. Folglich hat der Versender einer E‑Mail den Zugang in der für den Empfang bestimmten Einrichtung nachzuweisen. Ein Ausdruck der E‑Mail reicht hierfür nicht aus. Hieraus ist allenfalls ersichtlich, dass diese abgesandt wurde (s. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 14.09.2017 ‑ L 19 AS 360/17, unter 3. [Rz 44 f.]). Ihm ist jedoch nicht zu ent­nehmen, ob die E‑Mail auch beim Empfänger eingegangen ist. Das Absenden einer E‑Mail stellt aber keinen Nachweis für deren Zugang beim Empfänger dar (s. z.B. Oberlandesgericht ‑‑OLG‑‑ Hamm, Beschluss vom 10.08.2023 ‑ I‑26 W 13/23, Rz 6, m.w.N.; Landesarbeitsgericht ‑‑LAG‑‑ Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27.11.2012 ‑ 15 Ta 2066/12, [Rz 9 f.]; Landge­richt ‑‑LG‑‑ Hamburg, Urteil vom 23.05.2016 ‑ 325 O 22/16, Rz 34; Staudinger/Singer (2021) BGB § 130 Rz 110). Denn die Absendung al­lein bietet keinerlei Gewähr dafür, dass die Nachricht den Erklärungsempfän­ger beziehungsweise dessen E‑Mail-Postfach tatsächlich erreicht. Nicht auszu­schließen ist nämlich, dass die Nachricht (etwa wegen Fehlern in der Datenlei­tung oder den vom Absender verwendeten Programmen) tatsächlich nicht in das E‑Mail-Postfach des Empfängers gelangt (s. OLG Köln, Urteil vom 05.12.2006 ‑ 3 U 167/05, unter II.).

Das Absenden einer einfachen, insbesondere ohne Anforderung einer Emp­fangs- oder Lesebestätigung übermittelten E‑Mail begründet auch keinen Be­weis des ersten Anscheins für den Zugang der E‑Mail beim Empfänger, und zwar insbesondere auch dann nicht, wenn der Erklärende die Absendung der E‑Mail ‑‑etwa durch die Vorlage eines Ausdrucks der E‑Mail (s. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 14.09.2017 ‑ L 19 AS 360/17, unter 3. [Rz 44 f.])‑‑ be­weisen kann (s. z.B. Sächsisches LSG, Urteil vom 12.10.2023 ‑ L 3 AS 1050/19, unter II.1.b (3.2) [Rz 39], m.w.N.; OLG Köln, Urteil vom 05.12.2006 ‑ 3 U 167/05, unter II.; Beschluss des LAG Berlin-Brandenburg vom 27.11.2012 ‑ 15 Ta 2066/12, [Rz 9]). Entsprechendes gilt für den Fall, dass eine Kopie der E‑Mail bei einem Dritten eingegangen ist (s. LG Hamburg, Urteil vom 23.05.2016 ‑ 325 O 22/16, Rz 34). Hieraus ergibt sich ebenfalls kein Anscheinsbeweis dahingehend, dass diese E‑Mail auch beim Empfänger eingegangen ist (s. LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27.11.2012 ‑ 15 Ta 2066/12, [Rz 9]). Schließlich kommt dem Absender einer E‑Mail die Be­weiserleichterung des Anscheinsbeweises nicht schon deshalb zugute, weil er nach dem Versenden keine Meldung über die Unzustellbarkeit der E‑Mail erhält (s. OLG Rostock, Beschluss vom 03.04.2024 ‑ 7 U 2/24, Rz 4, m.w.N.).

Ein Beweis des ersten Anscheins für den Eingang beim E‑Mail-Postfach des Empfängers wäre (im Streitfall) nur dann begründet, wenn der Kläger eine Eingangs- oder Lesebestätigung erhalten hätte (vgl. Staudinger/Singer (2021) BGB § 130 Rz 110; Grüneberg/Ellenberger, Bürgerliches Gesetzbuch, 84. Aufl., § 130 Rz 21; LG Hamburg, Urteil vom 23.05.2016 ‑ 325 O 22/16, Rz 34). Dies ist jedoch gerade nicht der Fall.

c) Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist das FG zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger den Zugang der E‑Mail vom 30.08.2018 und damit den recht­zeitigen Zugang des Einspruchsschreibens beim FA nicht nachgewiesen hat. Dass der Kläger die Einspruchsfrist versäumt hat, steht zwischen den Beteilig­ten im Revisionsverfahren auch nicht mehr in Streit, so dass der Senat von weiteren Ausführungen hierzu absieht.

2. Ebenfalls zu Recht hat das FG entschieden, dass die angefochtene Ein­spruchsentscheidung gleichwohl aufzuheben ist, weil dem Kläger Wiederein­setzung in den vorigen Stand zu gewähren und der Einspruch vom FA als zu­lässig zu behandeln gewesen wäre.

a) War jemand ohne Verschulden verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhal­ten, so ist ihm nach § 110 Abs. 1 Satz 1 AO auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Das Verschulden eines Vertreters ist dabei dem Vertretenen zuzurechnen (§ 110 Abs. 1 Satz 2 AO). Nach § 110 Abs. 2 AO muss der Antrag innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses gestellt und die versäumte Handlung nachgeholt werden. Ist Letzteres gesche­hen, so kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden. Die Tatsa­chen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfah­ren über den Antrag glaubhaft zu machen. Dabei muss der Kern des geltend gemachten Wiedereinsetzungsgrundes innerhalb der Antragsfrist schlüssig vorgetragen werden. Nach Ablauf der Monatsfrist können unvollständige Anga­ben noch erläutert und ergänzt werden, das spätere Nachschieben von Wie­dereinsetzungsgründen ist hingegen nicht zulässig (BFH-Urteil vom 18.03.2014 ‑ VIII R 33/12, BFHE 246, 1, BStBl II 2014, 922, Rz 17, m.w.N.). Allerdings dürfen die Anforderungen an die Darlegungslast beziehungsweise das Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen des verfassungsrechtlichen Gebots effektiven Rechtsschutzes nicht überspannt werden (z.B. Beschluss des Bundesverfas­sungsgerichts vom 02.09.2002 ‑ 1 BvR 476/01, BStBl II 2002, 835).

b) "Ohne Verschulden" verhindert eine gesetzliche Frist einzuhalten, ist je­mand, wenn er die für einen gewissenhaft und sachgemäß handelnden Verfah­rensbeteiligten gebotene und ihm nach den Umständen zumutbare Sorgfalt beachtet hat (BFH-Urteil vom 20.11.2008 ‑ III R 66/07, BFHE 223, 317, BStBl II 2009, 185, unter II.2.b). Jedes Verschulden ‑‑also auch einfache Fahrlässig­keit‑‑ schließt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus (z.B. BFH-Urteil vom 09.08.2000 ‑ I R 33/99, BFH/NV 2001, 410).

c) Ausgehend von diesen Grundsätzen ist das FG in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu der Ansicht gelangt, dass der Kläger vorliegend oh­ne Verschulden verhindert war, die Einspruchsfrist zu wahren, so dass ihm das FA angesichts des Vorliegens der weiteren Wiedereinsetzungserfordernisse Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hätte gewähren müssen.

aa) Mit dem FG ist zunächst davon auszugehen, dass der Kläger die versäumte Rechtshandlung (die Einlegung des Einspruchs) innerhalb der Wiedereinset­zungsfrist nachgeholt hat. Dies folgt aus dem Umstand, dass der Zeuge Y die ihm seinerzeit zugegangene Kopie der E‑Mail vom 30.08.2018 nebst Einspruch dem FA per E‑Mail am 31.05.2019 und damit bereits zwei Ta­ge, nachdem er davon erfahren hatte, dass dieser Einspruch nicht beim FA eingegangen war, (erneut) übermittelt hat.

bb) Das Wiedereinsetzungsgesuch des Klägers ist auch ausreichend und frist­gerecht begründet worden. Insbesondere hat der Zeuge Y den Um­stand, dass der Prozessbevollmächtigte den Einspruch per E‑Mail am 30.08.2018 an das FA versandt hat, aufgrund seines Vortrags, ihm sei diese E‑Mail an jenem Tag als Kopie zugegangen, im Kern ausreichend dargelegt und durch die Vorlage der ausgedruckten E‑Mail vom 30.08.2018 sowie des Ausdrucks der ihm zugegangenen Kopie dieser E‑Mail hinreichend glaubhaft gemacht. Zudem legt der Eingang einer E‑Mail bei einem "Cc" gesetzten Drit­ten ‑‑hier dem Zeugen Y‑‑ zumindest nahe, dass diese E‑Mail auch tat­sächlich an den vorgesehenen Empfänger versandt wurde. Der vorliegend ge­gebene zeitliche Abstand zwischen Versendung der E‑Mail (14:54 Uhr) und dem Eingang der Kopie beim Zeugen Y (15:54 Uhr) steht dem im Streit­fall nicht entgegen.

cc) Schließlich ist auch die Würdigung des FG, dass der Kläger die Einspruchs­frist im Streitfall schuldlos versäumt hat, revisionsrechtlich nicht zu beanstan­den.

(1) Zum einen hat der Prozessbevollmächtigte nach den bindenden (§ 118 Abs. 2 FGO) und insoweit auch nicht streitigen Feststellungen des FG die E‑Mail vom 30.08.2018 zutreffend an die Poststelle des FA adressiert. Zum an­deren hat er nach eigenem Bekunden und anwaltlicher Versicherung keinen Rücklauf der E‑Mail als unzustellbar erhalten. Mit der Absendung der zutref­fend adressierten E‑Mail hat der Steuerpflichtige (beziehungsweise sein Pro­zessbevollmächtigter) alles ihm Mögliche (und Erforderliche) getan, damit die E‑Mail seinen Verantwortungsbereich tatsächlich verlässt; auf die Dauer der "elektronischen" Beförderung der E‑Mail vom Absendeserver zum Server des Empfängers und die Ablage von dort in das E‑Mail-Postfach des Empfängers sowie einen "Verlust" der E‑Mail im "Netz" hat er keinen Einfluss und muss für diese Fälle auch keine Vorkehrungen treffen. Deshalb ist er auch nicht gehal­ten, sich des Zugangs der E‑Mail beim Empfänger zu versichern, sondern darf auf den ordnungsgemäßen "elektronischen Postgang" vertrauen (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 27.11.2024 ‑ IV R 25/22, zur amtlichen Veröffentlichung be­stimmt, BStBl II 2025, 184, Rz 19, m.w.N., betreffend von der Deutschen Post AG nach ihren organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen für den Nor­malfall festgelegten Postlaufzeiten).

(2) Ein Verschulden des Klägers ergibt sich ‑‑entgegen der Auffassung des FA‑‑ auch nicht daraus, dass der Prozessbevollmächtigte den Einspruch im Streitfall per einfacher E‑Mail, mithin ohne Anforderung einer Empfangs- oder Lesebestätigung, übermittelt hat.

Auch wenn bei der Übersendung einer E‑Mail trotz der gegenwärtigen techni­schen Bedingungen stets die Gefahr besteht, dass diese den Empfänger ‑‑etwa wegen einer technischen Störung, eines Spam-Filters oder eines Bedienfeh­lers‑‑ nicht erreicht, kann dies ein gegen eine Wiedereinsetzung streitendes Verschulden des Steuerpflichtigen nicht begründen (so schon Urteil des Reichsfinanzhofs ‑‑RFH‑‑ vom 04.09.1929 ‑ VI A 459/29, Steuer und Wirt­schaft ‑‑StuW‑‑ 1929 Nr. 756 und RFH-Beschluss vom 28.05.1931 ‑ I B 3/31, StuW 1931 Nr. 769 betreffend die Übermittlung einer Klageschrift mit einfa­chem und nicht mit eingeschriebenem Brief sowie BFH-Urteil vom 16.11.1961 ‑ V 235/59, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1962, 89 und BFH-Beschluss vom 28.02.1985 ‑ VIII R 261/84, BFH/NV 1986, 30, unter 2.). Eine qualifizierte Zustellart sieht § 87a AO i.d.F. der Streitjahre nicht vor.

Auch enthält die Abgabenordnung keine dem § 52a Abs. 5 Satz 2 FGO ent­sprechende Vorschrift. Aus dieser Vorschrift ist abgeleitet worden, dass zur Überprüfung der ordnungsgemäßen Übermittlung eines Schriftstücks an ein Gericht zu prüfen ist, ob das Gericht den Eingang des elektronischen Doku­ments gemäß § 52a Abs. 5 Satz 2 FGO bestätigt hat (vgl. BFH-Beschluss vom 13.12.2023 ‑ VII B 188/22, Rz 13). Mangels einer entsprechenden gesetzli­chen Vorgabe in der Abgabenordnung bedarf es auch zur Annahme eines schuldlosen Verhaltens keiner Vorlage einer Empfangs- oder Lesebestätigung, zumal sowohl eine lesebestätigungsbewehrte als auch eine einfache, ohne An­forderung einer Empfangs- oder Lesebestätigung übermittelte E‑Mail dem nämlichen "Übermittlungsrisiko" ausgesetzt ist.

(3) Aus der zivil- und verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung betreffend die Pflicht zur (vorsorglich) fristwahrenden Einlegung eines Rechtsbehelfs folgt ‑‑entgegen der Auffassung des FA‑‑ nichts anderes. Nach dieser Rechtspre­chung zu den anwaltlichen Sorgfaltspflichten bei Erteilung eines Rechtsmittel­auftrags per E‑Mail darf ein Rechtsanwalt nicht allein wegen der Absendung ei­ner E‑Mail auf deren ordnungsgemäßen Zugang beim Adressaten vertrauen, sondern muss vielmehr durch die Anforderung einer Lesebestätigung sicher­stellen, dass die Nachricht vom Empfänger auch zur Kenntnis genommen wur­de (vgl. z.B. Beschlüsse des Bundesgerichtshofs vom 17.07.2013 ‑ I ZR 64/13, Rz 11 und vom 18.11.2021 ‑ I ZR 125/21, Rz 14; Beschlüsse des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 20.02.2017 ‑ 16a D 16.2092, unter II.2.1 und vom 23.05.2024 ‑ 6 ZB 24.730, Bayerische Verwaltungsblätter 2024, 645, unter 2.a; offengelassen im Beschluss des Bundesverwaltungsge­richts vom 13.03.2019 ‑ 2 B 64.18). Sie betrifft damit ersichtlich einen ande­ren Sachverhalt und ist folglich auf den Streitfall nicht übertragbar. Insbeson­dere lässt sich aus dieser Rechtsprechung nicht ableiten, dass der E‑Mail-Aus­tausch zwischen dem Steuerpflichtigen und der Finanzbehörde mit der Anforderung einer Lesebestätigung zu bewehren ist und die fristgerechte und ordnungsgemäße Absendung einer E‑Mail an eine Finanzbehörde nur durch Vorlage einer Lesebestätigung glaubhaft gemacht werden kann.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

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