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BFH: Anspruch auf Informationszugang in die der Richtsatzsammlung zugrunde liegenden Unterlagen

  1. Bei § 21a Abs. 1 Satz 4 und 5 des Finanzverwaltungsgesetzes handelt es sich um eine spezialgesetzliche Regelung, die nach ihrem Wortlaut eine Ver­traulichkeitspflicht anordnet und insbesondere einen Anspruch auf Einsicht in die Dokumente nach den Informationsfreiheitsgesetzen des Bundes und der Länder ausschließt.
  2. Daher wird ein Anspruch nach dem Informationsfreiheitsgesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern hinsichtlich der Unterlagen für die amtliche Richt­satzsammlung ausgeschlossen.

FVG § 21a Abs. 1 Satz 4 und 5
IFG MV § 1 Abs. 3
AO § 32e
GG Art. 108 Abs. 4 Satz 1

BFH-Urteil vom 9.5.2025, IX R 1/24 (veröffentlicht am 10.7.2025)

Vorinstanz: FG Mecklenburg-Vorpommern vom 23.11.2023, 2 K 349/21 = SIS 24 08 72

I. Die Beteiligten streiten um einen Auskunftsanspruch des Klägers, Revisions­klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) auf der Grundlage des Gesetzes zur Regelung des Zugangs zu Informationen für das Land Mecklenburg-Vorpommern (Informationsfreiheitsgesetz MV ‑‑IFG MV‑‑ vom 10.07.2006, Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Mecklenburg-Vorpommern 2006, 556).

Der Kläger beantragte beim Beklagten, Revisionskläger und Revisionsbeklag­ten (Finanzministerium des betreffenden Bundeslandes als oberste Behörde bei den Landes­finanzbehörden, § 2 Abs. 1 Nr. 1 des Finanzverwaltungsgesetzes [FVG] ‑‑Beklagter‑‑) die Beantwortung von Fragen hinsichtlich der Erstellung der steuerlichen Richtsatzsammlung. Im Einzelnen handelte es sich um die folgen­den Fragen:

1. Wie viele Betriebe in Mecklenburg-Vorpommern (MV) wurden in MV in den Jahren 2016 bis 2020 einer Außenprüfung unterzogen mit dem Ziel, die Prü­fungsdaten in die Richtsatzsammlung einfließen zu lassen?
2. Nach welchen Kriterien werden diese Betriebe ausgewählt und gibt es dazu Vorgaben, zum Beispiel nach Branche, Betriebsgröße und Finanzamtszustän­digkeit? Wer entscheidet letztlich, welche Betriebsprüfung in die Richtsatz­sammlung eingebracht wird?
3. Werden die Prüfungsergebnisse auch dann in die Richtsatzsammlung einge­pflegt, wenn die Ergebnisse ganz oder zum Teil auf Schätzungen beruhen?
4. Welche Prüfungsjahre sind jeweils in die Richtsatzsammlung 2016 bis 2020 eingeflossen?

Zudem bat der Kläger um die Überlassung der Prüfungsauswertung für die Jahre 2016 und 2019.

Der Beklagte erteilte dem Kläger unter anderem mit Schreiben vom 22.04.2021 und vom 05.08.2021 Auskünfte in Form allgemeiner Ausführungen zur Entstehung, Bekanntgabe und Anwendung der Richtsatzsammlung. Unter anderem wurde auch ausgeführt, dass Hinzuschätzungen aufgrund von Nach­kalkulationen und aufgrund betriebsinterner Daten im Rahmen der Richtsatz­ermittlungen berücksichtigt werden. Weitere Informationen seien gemäß § 21a Abs. 1 Satz 4 und 5 FVG vertraulich und nicht zur Weitergabe an Dritte außer­halb der Finanzverwaltung bestimmt.

Einer Aufhebung der Vertraulichkeit und damit einer Offenlegung hatte die für die Richtsatzsammlung zuständige Bund-Länder-Arbeitsgruppe nicht zuge­stimmt.

Der Beklagte lehnte daher mit Bescheid vom 05.08.2021 die Erteilung weiterer Informationen ab. Ein dagegen angestrengtes Widerspruchsverfahren blieb mit Widerspruchsentscheidung vom 23.11.2021 ohne Erfolg.

Das Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern (FG) wies mit der in Entschei­dungen der Finanzgerichte 2024, 1449 veröffentlichten Entscheidung vom 23.11.2023 ‑ 2 K 349/21 die dagegen erhobene Klage teilweise als unzulässig und teilweise als unbegründet ab. Im Übrigen gab es der Klage statt. Die Kla­ge sei unzulässig hinsichtlich der unter 4. aufgeworfenen Frage, welche Prü­fungsjahre jeweils in die Richtsatzsammlung 2016 bis 2020 eingeflossen seien. Denn insoweit habe der Kläger sein Ziel bereits erreicht. Soweit der Kläger mit seiner Frage unter 1. die Information begehre, wie viele Betriebe in den Jah­ren 2016 bis 2020 einer Außenprüfung unterzogen worden seien, mit dem Ziel, die Prüfungsdaten in die Richtsatzsammlung einfließen zu lassen (soge­nannte Richtsatzprüfung), sei die Klage begründet. Dies gelte auch für die un­ter 2. angesprochenen weiteren Fragen, nach welchen Kriterien diese Betriebe ausgewählt werden, ob es Vorgaben dazu gebe und wer entscheide, welche Betriebs­prüfung zur Grundlage gemacht werde. Die begehrten Informationen unterfie­len nicht dem Anwendungsbereich des § 21a Abs. 1 Satz 4 und 5 FVG. Durch diese Regelungen werde ein Informationsanspruch nach dem Informationsfrei­heitsgesetz MV nicht ausgeschlossen. Die Klage sei aber unbegründet, soweit der Kläger die Information begehre, ob die Prüfungsergebnisse auch dann in die Richtsatzsammlung eingepflegt würden, wenn die Ergebnisse ganz oder teilweise auf Schätzungen beruhten. Auch eine Überlassung der Prüfungsaus­wertung für die Jahre 2016 und 2019 scheide aus.

Gegen das Urteil des FG haben sowohl der Kläger als auch der Beklagte Revi­sion eingelegt.

Mit seiner Revision hält der Kläger daran fest, dass ihm auch die Frage unter 3., ob die Prüfungsergebnisse in Schätzungsfällen in die Richtsatzsammlung eingepflegt würden, zu beantworten sei. Zudem sei ihm entgegen der Ent­scheidung des FG die Prüfungsauswertung für die Jahre 2016 und 2019 zu überlassen. Des Weiteren bringt der Kläger vor, die Ermittlung der Daten für die Richtsatzsammlung sei nicht ausreichend. Die Daten seien nicht repräsen­tativ. Wie die Richtsatzsammlung zustande komme, sei nicht bekannt. Das Informationsfreiheitsgesetz MV gewährleiste jedoch einen möglichst umfas­senden und voraussetzungslosen Informationszugang. Entziehe man die mit der Richtsatzsammlung gewonnenen Daten einer gerichtlichen Kontrolle, wer­de gegen Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) verstoßen. Es gehe zudem nicht um personenbezogene, sondern um allgemeine, von der Finanzverwal­tung verarbeitete Daten. Sollten sich Hinweise auf Datenherkunft, Namen oder Steuernummern ergeben, könnten diese geschwärzt werden.

Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des FG vom 23.11.2023 ‑ 2 K 349/21 und den Widerspruchsbe­scheid vom 23.11.2021 aufzuheben, soweit die Beantwortung der unter 3. aufgeworfenen Frage und die Überlassung der Prüfungsauswertung für die Jahre 2016 und 2019 abgelehnt worden war sowie die Revision des Beklagten zurückzuweisen.

Der Beklagte beantragt sinngemäß,
das Urteil des FG vom 23.11.2023 ‑ 2 K 349/21 hinsichtlich der Verpflichtung zur Beantwortung der unter 1. und 2. gestellten Fragen aufzuheben und die Klage insgesamt abzuweisen sowie die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Der Beklagte hält daran fest, dass kein Anspruch auf den geltend gemachten Zugang zu Informationen zur Erstellung der Richtsatzsammlung bestehe. Er weist darauf hin, dass er die unter 2. gestellten Fragen bereits teilweise be­antwortet habe. Zudem habe der Kläger die Verletzung von Bundesrecht nicht geltend gemacht. Das FG habe die Anwendbarkeit und die Voraussetzung der Vertraulichkeits- und Geheimhaltungspflicht nach § 21a Abs. 1 Satz 4 und 5 FVG verkannt. Die Regelung gehe der landesrechtlichen Regelung nach dem Informationsfreiheitsgesetz MV vor. Das FG habe die Vorschriften des In­formationsfreiheitsgesetzes MV nicht zutreffend angewandt. Das FG habe bei der Anwendung des § 32e der Abgabenordnung (AO) Bundesrecht verletzt. Die Regelungen des Informationsfreiheitsgesetzes MV würden durch § 32e AO be­reichsspezifisch verdrängt. Es handele sich bei § 32e AO um eine Rechts­grundverweisung und nicht ‑‑wie das FG annehme‑‑ um eine Rechtsfolgen­verweisung. Der Kläger sei jedoch kein Betroffener im datenschutzrechtlichen Sinn. Ihm stehe kein Auskunftsanspruch nach Art. 15 der Datenschutz-Grund­verordnung (DSGVO) zu, so dass er nach § 32e Satz 2 AO auch keinen dar­über hinausgehenden Informationsanspruch aus dem Informationsfreiheitsge­setz MV herleiten könne. Das FG betrachte schließlich die Ablehnungsgründe der §§ 32a bis 32d AO rechtsfehlerhaft als nicht einschlägig. Denn durch § 32e AO werden die in den §§ 32a bis 32d AO vorgesehenen Beschränkungen des Auskunftsanspruchs aus Art. 15 DSGVO sowohl für die betroffene Person als auch für Dritte mittels Rechtsfolgenverweisung auf Auskunftsansprüche er­streckt, die sich aus den Informationsfreiheitsgesetzen des Bundes oder der Länder ergeben.

II. Die Revision des Beklagten ist begründet. Das Urteil des FG ist daher im Um­fang der Klagestattgabe aufzuheben (dazu unter 1.). Die Revision des Klägers ist unbegründet (dazu unter 2.). Die Klage ist in vollem Umfang abzuweisen (dazu unter 3.).

1. Die Revision des Beklagten ist begründet. Das FG hat Bundesrecht verletzt, indem es den Beklagten verpflichtet hat, die zu 1. und 2. vom Kläger gestell­ten Fragen zu beantworten. Denn insoweit steht § 21a Abs. 1 Satz 4 und 5 FVG einem Auskunftsanspruch des Klägers nach § 32e AO i.V.m. dem Infor­mationsfreiheitsgesetz MV entgegen.

a) Die Revision kann dabei nur auf die Verletzung von Bundesrecht gestützt werden (§ 118 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). An die Fest­stellung und Auslegung von Landesrecht durch das FG ist der Bundesfinanzhof (BFH) gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO). Bei der Auslegung von Landesrecht durch das FG hat das Revisionsgericht lediglich zu überprüfen, ob diese Ausle­gung mit (höherrangigem) Bundesrecht übereinstimmt und ob die Auslegung durch das FG bundesrechtlichen Auslegungsregeln entspricht, also insbesonde­re nicht gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstößt (vgl. BFH-Beschluss vom 18.03.2003 ‑ I B 97/02, BFH/NV 2003, 1190, m.w.N.; BFH-Urteile vom 10.07.2002 ‑ X R 89/98, BFHE 199, 441, BStBl II 2003, 72, unter II.3.b; vom 25.01.2005 ‑ I R 63/03, BFHE 209, 195, BStBl II 2005, 501, unter II.3. und 4. und vom 12.10.2022 ‑ II R 7/20, BFHE 277, 489, BStBl II 2023, 402, Rz 26).

b) § 21a Abs. 1 Satz 4 und 5 FVG schließt ein Auskunftsrecht nach dem In­formationsfreiheitsgesetz MV aus.

aa) Nach § 21a Abs. 1 Satz 1 FVG können zur Verbesserung und Erleichterung des Vollzugs von Steuergesetzen und im Interesse des Zieles der Gleichmä­ßigkeit der Besteuerung vom Bundesministerium der Finanzen (BMF) mit Zu­stimmung der obersten Finanzbehörden der Länder unter anderem einheitliche Verwaltungsgrundsätze bestimmt werden. Damit soll der bundeseinheitliche Verwaltungsvollzug bei im Auftrag des Bundes verwalteten Steuern und bei anderen bundesgesetzlich geregelten Steuern im Landeseigenvollzug geregelt werden (vgl. BTDrucks 16/814, S. 19; BTDrucks 19/13436, S. 183; vgl. auch Heller/Kniel, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 2019, 935, 937; Nonnenmacher, Deutsches Steuerrecht ‑‑DStR‑‑ 2023, 1984, 1985). Nach § 21a Abs. 1 Satz 4 FVG ist die Vertraulichkeit zugehöriger Sitzungen zu wah­ren, wenn nicht im Einzelfall einstimmig etwas anderes beschlossen wurde. Entsprechendes gilt nach § 21a Abs. 1 Satz 5 FVG für Beratungen im schriftli­chen Verfahren.

Das Informationsfreiheitsgesetz MV wird nur durch bundesrechtliche Normen verdrängt, die einen mit ihm identischen sachlichen Regelungsgegenstand aufweisen (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ‑‑BVerwG‑‑ vom 03.11.2011 ‑ 7 C 4.11, Rz 9). Bei § 21a Abs. 1 Satz 4 und 5 FVG handelt es sich um eine spezialgesetzliche Regelung, die nach ihrem Wortlaut eine Vertrau­lichkeitspflicht anordnet und insbesondere einen Anspruch auf Einsicht in die Dokumente nach den Informationsfreiheitsgesetzen des Bundes und der Län­der ausschließen soll (vgl. Schmieszek in Hübschmann/Hepp/Spitaler ‑‑HHSp‑‑, § 21a FVG Rz 6 und 10a; Krumm in Tipke/Kruse, § 21a FVG Rz 4b; Nonnenmacher, DStR 2023, 1984, 1986; offengelassen in Gutachten "Infor­mationsfreiheitsgesetz: Sitzungen der Finanzverwaltung" des wissenschaftli­chen Dienstes des Bundestags vom 18.12.2019 ‑ WD 3 ‑ 3000 ‑ 281/19, S. 5 f.).

Der Ausschluss landesrechtlicher Ansprüche auf Informationszugang folgt aus dem Sinn und Zweck der Regelung des § 21a Abs. 1 Satz 4 und 5 FVG. Die Sitzungen der für die Ermittlung der Richtsätze zuständigen Gremien erfordern den freien, vertrauensvollen Austausch aller Beteiligten. Die Sitzungen sind daher ebenso wie vorbereitende und nachbereitende Sitzungsunterlagen (zum Beispiel Protokolle, Konzepte) grundsätzlich vertraulich und die Unterlagen sind nicht zur Weitergabe an Empfänger außerhalb der (Finanz‑)Verwaltung bestimmt. Dies dient dazu, dass in den vertraulichen Beratungen in einer At­mosphäre der Offenheit und ohne Zwang zur Berücksichtigung von außen ein­gebrachter Interessen oder Rechtfertigungsforderungen ein allein an der Sa­che orientierter Austausch von Argumenten sowie eine unbeeinflusste Ab­stimmung erfolgen können (vgl. BTDrucks 19/13436, S. 183 f.).

Dies deckt sich mit der Vorschrift des § 6 Abs. 3 IFG MV, wonach Protokolle vertraulicher Beratungen nicht zugänglich sind. Geschützt werden soll der Pro­zess der Entscheidungsfindung, nicht aber der Beratungsgegenstand oder das Beratungsergebnis selbst. Die offene Meinungsbildung sowie die effektive und neutrale Entscheidungsfindung sollen nicht gefährdet werden (vgl. die im Zeit­punkt der Entscheidung über www.datenschutz‑mv.de abrufbaren Erläuterun­gen des Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit Mecklenburg-Vorpommern zum Informationsfreiheitsgesetz MV, S. 59 von 120 als PDF-Datei "Gesetz zur Regelung des Zugangs zu Informationen für das Land Mecklenburg-Vorpommern (Informationsfreiheitsgesetz ‑ IFG M‑V) mit Erläuterungen"). Dies wäre nicht der Fall, wenn die Unterlagen der für die Er­mittlung der Richtsätze zuständigen Gremien einem Auskunftsrecht nach dem Informationsfreiheitsgesetz MV unterliegen.

bb) Bei der vom BMF veröffentlichten Richtsatzsammlung handelt es sich um Verwaltungsgrundsätze, die der Verbesserung und Erleichterung des Steuer­vollzugs dienen und auch die Gleichmäßigkeit der Besteuerung sicherstellen. Die Richtsatzsammlung, die das BMF jährlich in Form eines BMF-Schreibens im Einvernehmen mit den Finanzbehörden der Länder herausgibt und im Bun­dessteuerblatt veröffentlicht, enthält statistische Kennzahlen zum Rohge­winnaufschlagsatz, zum Rohgewinn I und II, zum Halbreingewinn und zum Reingewinn hinsichtlich verschiedener Branchen (Gewerbeklassen) (vgl. Klein, DStR 2024, 1335 f.; BTDrucks 19/4238, S. 1). Sie ist ein Hilfsmittel zur Ver­probung und Schätzung der Umsätze und Gewinne von Steuerpflichtigen und hat bundesweite Geltung. Die Richtsatzsammlung fällt daher unter den Begriff der "einheitlichen Verwaltungsgrundsätze" im Sinne des § 21a Abs. 1 Satz 1 FVG (vgl. Leibholz/Rinck/Hesselberger, GG, Art. 108 Rz 1; a.A. wohl Bilsdorfer/Heintz/Sutor, Steuer und Studium 2011, 497, 498).

Die Richtsatzsammlung wird von einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe auf der Grundlage von § 21a Abs. 1 Satz 1 FVG erarbeitet. Für die Ermittlung der amt­lichen Richtsatzsammlung gilt daher die Regelung in § 21a Abs. 1 Satz 4 und 5 FVG. Diese schließt als speziellere (bundesrechtliche) Norm (vgl. § 1 Abs. 3 Satz 1 IFG MV) die vom Kläger geltend gemachten Auskunftsansprüche nach dem Informationsfreiheitsgesetz MV aus, sofern nicht im Einzelfall ein­stimmig etwas anderes beschlossen wurde. Dies gilt für alle vorbereitenden Unterlagen, Ergebnisse und nachbereitenden Unterlagen der Bund-Länder-Ar­beitsgruppe zur Erstellung von Richtsatzsammlungen und damit auch für die Zulieferungen, die der Beklagte mittels seiner nachgeordneten Finanzbehörden für das Land MV erbringt. Nach den Feststellungen des FG ist auch kein ein­stimmiger Beschluss zur Offenlegung der Daten und Unterlagen für die Erstel­lung der Richtsatzsammlung gefasst worden.

c) Der Bundesgesetzgeber ist dazu ermächtigt, mittels der Regelung in § 21a Abs. 1 Satz 4 und 5 FVG Auskunftsansprüche nicht nur nach dem Infor­mationsfreiheitsgesetz des Bundes, sondern auch nach den Informationsfrei­heitsgesetzen der Bundesländer auszuschließen.

aa) Verfassungsrechtliche Grundlage für § 21a FVG ist die Regelung des Art. 108 Abs. 4 Satz 1 Alternative 1 GG (vgl. BTDrucks 19/13436, S. 72; Krumm in Tipke/Kruse, Kommentierung des FVG, Einführung, Rz 2b und 4; Schmieszek in HHSp, Gesetz über die Finanzverwaltung, Rz 27; BeckOK GG/Kube, 61. Ed. 15.03.2025, GG Art. 108 Rz 4.1). Danach kann durch Bun­desgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bei der Verwaltung von Steuern unter anderem ein Zusammenwirken von Bundes- und Landes­finanzbehörden vorgesehen werden, wenn und soweit dadurch der Vollzug der Steuergesetze erheblich verbessert oder erleichtert wird.

Art. 108 Abs. 4 Satz 1 GG betrifft als verfassungsrechtliche Kompetenzrege­lung die Ermächtigung für den Bund, Regelungen zur Verbesserung oder Er­leichterung des Vollzugs der Steuergesetze zu erlassen. Die Regelung erlaubt als Ausprägung des kooperativen Föderalismus ein Zusammenwirken von Bund und Ländern (vgl. u.a. F. Kirchhof in Huber/Voßkuhle, Grundgesetz, 8. Aufl., Art. 108 Rz 65; Schwarz in Dürig/Herzog/Scholz, Komm. z. GG, Art. 108 Rz 44; Seer in Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar zum Grund­gesetz, Art. 108 Rz 130; Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht, 25. Aufl., Kap. 2 Rz 2.78; Krumm in Tipke/Kruse, Kommentierung des FVG, Einführung, Rz 2). Art. 108 GG ermächtigt nur zur Regelung des auf die Steuerverwaltung bezo­genen Organisations- und Verfahrensrechts (vgl. Schmieszek in HHSp, Gesetz über die Finanzverwaltung, Rz 12). Eine Ermächtigung, Informationsansprüche nach den Informationsfreiheitsgesetzen von Bund und Ländern auszuschließen, ist in Art. 108 Abs. 4 Satz 1 GG unmittelbar nicht geregelt (vgl. Krumm in Tipke/Kruse, § 21a FVG Rz 4d). Denn bei den Vorschriften zu den Informati­onszugangsansprüchen nach Landesrecht handelt es sich nicht um Regelungen zum Vollzug der Steuergesetze.

Die Ermächtigung, zur erheblichen Verbesserung oder Erleichterung des Voll­zugs der Steuergesetze Informationsansprüche nach den Informationsfrei­heitsgesetzen der Bundesländer auszuschließen, ist jedoch als Annexkompe­tenz in Art. 108 Abs. 4 Satz 1 Alternative 1 GG enthalten. Eine Annexkompe­tenz liegt vor, wenn eine dem Bund ausdrücklich zugewiesene Materie die In­anspruchnahme vorbereitender, unterstützender oder flankierender Aufgaben und Befugnisse erfordert und beide Sachgebiete damit nicht anders als im Zu­sammenhang geregelt werden können (vgl. Bundesverfassungsgericht ‑‑BVerfG‑‑, Beschluss vom 29.04.1958 ‑ 2 BvO 3/56, BVerfGE 8, 143, unter B.III.1.a; Urteil vom 18.07.1967 ‑ 2 BvF 3/62, 2 BvF 4/62, 2 BvF 5/62, 2 BvF 6/62, 2 BvF 7/62, 2 BvF 8/62, 2 BvR 139/62, 2 BvR 140/62, 2 BvR 334/62, 2 BvR 335/62, BVerfGE 22, 180, unter C.II.1.; Beschlüsse vom 24.10.2002 ‑ 2 BvF 1/01, BVerfGE 106, 62, unter C.I.1.a dd (1) f [Rz 207] und vom 03.07.2012 ‑ 2 PBvU 1/11, BVerfGE 132, 1, Rz 17; F. Kirchhof in Huber/Voßkuhle, Grundgesetz, 8. Aufl., Art. 108 Rz 65; Uhle in Dürig/Herzog/Scholz, Komm. z. GG, Art. 70 Rz 71; Heintzen in Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 70 Rz 178; BeckOK GG/Seiler, 61. Ed. 15.03.2025, GG Art. 70 Rz 23; Degenhart in Sachs, Grundgesetz, 10. Aufl., Art. 70 Rz 36). Die Annexkompetenz zeichnet sich durch einen dienenden Charakter aus. Voraussetzung für ihre Inanspruchnah­me ist, dass der Bund von einer ihm ausdrücklich zugewiesenen Gesetzge­bungszuständigkeit Gebrauch macht, dass der Regelungsschwerpunkt des be­treffenden Bundesgesetzes auf dem Gebiet eines ausdrücklich dem Bund un­terstellten Kompetenzgegenstandes liegt und dass die kraft Annexes dem aus­drücklich normierten Kompetenztitel zugeschlagene Materie nicht den Haupt­regelungsgegenstand darstellt. Notwendig ist ferner, dass die Annexmaterie in einem funktionalen Zusammenhang zur Inanspruchnahme der ausdrücklich normierten Bundeskompetenz steht (vgl. Uhle in Dürig/Herzog/Scholz, Komm. z. GG, Art. 70 Rz 71; Heintzen in Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 70 Rz 178). Die Annexkompetenz ermäch­tigt daher insbesondere zum Erlass von ergänzenden verfahrensrechtlichen Regelungen (vgl. Uhle in Dürig/Herzog/Scholz, Komm. z. GG, Art. 70 Rz 73). Es muss sich jedoch um eine punktuelle Annexregelung zu einer dem Bundes­gesetzgeber zugewiesenen materiellen Regelung handeln (vgl. BVerfG-Urteil vom 18.07.1967 ‑ 2 BvF 3/62, 2 BvF 4/62, 2 BvF 5/62, 2 BvF 6/62, 2 BvF 7/62, 2 BvF 8/62, 2 BvR 139/62, 2 BvR 140/62, 2 BvR 334/62, 2 BvR 335/62, BVerfGE 22, 180, unter C.II.1.; Uhle in Dürig/Herzog/Scholz, Komm. z. GG, Art. 70 Rz 72).

bb) Die Vertraulichkeitsregelung im § 21a Abs. 1 Satz 4 und 5 FVG kann als den Steuervollzug punktuell unterstützende und flankierende Regelung auf Art. 108 Abs. 4 Satz 1 Alternative 1 GG gestützt werden. Die Vorschrift dient der Verbesserung oder Erleichterung des Steuervollzugs (vgl. BTDrucks 19/13436, S. 72) und steht mit diesem in einem funktionalen Zusammen­hang. Bei beiden Sätzen der Norm handelt es sich um Verfahrensregelungen, die sich ‑‑wie aus § 21a Abs. 1 Satz 1 FVG folgt‑‑ auf den Steuervollzug be­ziehen und dessen Effektivität und Wirksamkeit im Rahmen der Abstimmung zwischen Bund und Ländern sicherstellen und erheblich fördern sollen. Die Re­gelung in § 21a Abs. 1 Satz 4 und 5 FVG sichert mit der Vertraulichkeit der Beratungen in den Bund-Länder-Arbeitsgruppen den an der Sache orientierten Austausch von Argumenten und eine unbeeinflusste Abstimmung. Sie sichert damit die uneingeschränkte Arbeitsfähigkeit der entsprechenden Gremien. Stünde dem Bund nicht die Kompetenz zur Regelung der Vertraulichkeit zu, besteht die Gefahr, dass in den Bund-Länder-Gremien sachbezogene Diskussi­onen nicht stattfinden oder in den informellen Bereich außerhalb der Sitzungen verlagert werden (vgl. BTDrucks 19/13436, S. 184). Die von der Gesetzge­bungskompetenz des Bundes in Art. 108 Abs. 4 Satz 1 Alternative 1 GG um­fasste Ermächtigung zur Verbesserung oder Erleichterung des Steuervollzugs durch ein Zusammenwirken von Bund und Ländern bliebe daher unvollständig, wenn sie nicht gleichzeitig durch Vertraulichkeitsregelungen auf Informations­zugangsansprüche nach Landesrecht gestützte Begehren auf Informationen aus gemeinsamen Bund-Länder-Gremien ausschließen könnte. Ansonsten wä­re es dem Bundesgesetzgeber nicht möglich, eine für ihn mit Blick auf den Steuervollzug sinnvolle oder sogar gebotene Vertraulichkeit von Informationen aus den Bund-Länder-Arbeitsgruppen auch im Verhältnis zum jeweiligen Lan­desrecht zu regeln (vgl. zur Gesetzgebungskompetenz hinsichtlich von Infor­mationsansprüchen von Insolvenzverwaltern BVerwG-Urteil vom 25.02.2022 ‑ 10 C 4.20, BVerwGE 175, 62, Rz 15).

cc) Die Vertraulichkeitsregelung in § 21a Abs. 1 Satz 4 und 5 FVG bewirkt auch keine Verkürzung des dem Steuerpflichtigen zustehenden gerichtlichen Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG. Steuerbescheide, die Besteuerungs­grundlagen enthalten, die mittels Schätzung (§ 162 AO) auf der Grundlage der Richtsatzsammlung ermittelt worden sind, können vom Adressaten mit Ein­spruch und finanzgerichtlicher Klage angefochten werden. Die Schätzung an­hand der Werte der Richtsatzsammlung unterliegt in vollem Umfang der tat­sächlichen und rechtlichen Überprüfung (vgl. u.a. Klein, DStR 2024, 1335, 1338).

d) Das FG hat daher rechtsfehlerhaft die Anwendbarkeit des § 21a Abs. 1 Satz 4 und 5 FVG verneint und auf der Grundlage des § 32e AO i.V.m. den Regelungen des Informationsfreiheitsgesetzes MV einen Auskunftsanspruch des Klägers bejaht. Dabei kann offenbleiben, ob es sich bei der Bezugnahme in § 32e AO auf die Art. 12 bis 15 DSGVO um eine Rechtsgrund- oder eine Rechtsfolgenverweisung handelt (für Rechtsfolgenverweisung: BVerwG-Be­schluss vom 04.07.2019 ‑ 7 C 31.17, Rz 15 und BVerwG-Urteile vom 16.09.2020 ‑ 6 C 10.19, Rz 31 und vom 25.02.2022 ‑ 10 C 4.20, BVerwGE 175, 62, Rz 17; Schoch, Informationsfreiheitsgesetz, 3. Aufl., § 1 Rz 311; BeckOK AO/Rosenke, 31. Ed. 01.01.2025, AO § 32e Rz 27; für Rechtsgrund­verweisung: Drüen in Tipke/Kruse, § 32e AO Rz 10; Tormöhlen in HHSp, § 32e AO Rz 8; Schober in Gosch, AO § 32e Rz 9). Einem Auskunftsanspruch stehen jedenfalls insoweit die Regelung in § 21a Abs. 1 Satz 4 und 5 FVG als spezielle Vertraulichkeitsvorschrift des Bundesrechts entgegen.

Ob die vom FG ausgesprochene Auskunftserteilung gegen § 32c Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 32b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AO (Gefährdung der ordnungsgemäßen Erfüllung der in der Zuständigkeit der Finanzbehörden liegenden Aufgaben), § 32c Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO (Geheimhaltungs­pflicht) oder gegen § 32c Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 32b Abs. 1 Satz 2 und § 32a Abs. 2 AO (die betroffene Person wird in die Lage versetzt, steuerlich bedeut­same Sachverhalte zu verschleiern, steuerlich bedeutsame Spuren zu verwi­schen oder sich bei Art und Umfang der Erfüllung steuerlicher Mitwirkungs­pflichten auf den Kenntnisstand der Finanzverwaltung einzustellen) verstößt, ist daher ebenfalls nicht entscheidungserheblich.

2. Die Revision des Klägers, die sich gegen die Nichtbeantwortung der Frage 3 sowie auf die Überlassung der Prüfungsauswertung für die Jahre 2016 und 2019 bezieht, ist unbegründet. Die Klage war bereits unzulässig (dazu unter a) beziehungsweise steht die Regelung in § 21a Abs. 1 Satz 4 und 5 FVG der vom Kläger begehrten Auskunftserteilung entgegen (dazu unter b).

a) Soweit der Kläger mit seiner Frage 3 Informationen darüber erhalten will, ob Prüfungsergebnisse auch dann in die Richtsatzsammlung eingepflegt wer­den, wenn die Ergebnisse ganz oder zum Teil auf Schätzungen beruhen, war die Klage bereits unzulässig. Insoweit fehlt es am Rechtsschutzbedürfnis, weil diese Frage bereits im Verwaltungsverfahren mit Schreiben des Beklagten vom 22.04.2021 beantwortet worden war.

b) Des Weiteren steht die Regelung in § 21a Abs. 1 Satz 4 und 5 FVG der vom Kläger geltend gemachten Auskunftserteilung entgegen.

Auch eine teilweise Informationsgewährung zum Beispiel unter Schwärzung von Passagen scheidet aus. § 21a Abs. 1 Satz 4 und 5 FVG schließt die An­wendung des Informationsfreiheitsgesetzes MV und des § 32e AO in vollem Umfang aus und sieht keine nur teilweise Informationsgewährung vor. Eine Einschränkung der Vertraulichkeit in Bezug auf bestimmte Themen oder Do­kumente ist dem Wortlaut nicht zu entnehmen. Eine Beschränkung der Infor­mationsgewährung auf den Beitrag zur Entscheidungsfindung, den das Land MV über den Beklagten zwecks Ermittlung der Werte für die Richtsatzsamm­lung weitergegeben hat, scheidet daher ebenfalls aus.

3. Soweit das FG einen Auskunftsanspruch hinsichtlich der Fragen 1 und 2 be­jaht hat, ist die Entscheidung aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die Klage ist hinsichtlich der zu den Fragen 1 und 2 geltend gemachten Auskunftsan­sprüche abzuweisen. Dem Kläger stehen zudem der geltend gemachte Aus­kunftsanspruch in Bezug auf die Frage 3 und der Anspruch auf die Überlassung der Prüfungsauswertungen 2016 und 2019 ebenfalls nicht zu. Zwar hätte das FG die Klage richtigerweise zu der Frage 3 als unzulässig abweisen müssen. Das angefochtene Urteil ist trotz dieses Rechtsfehlers aber insoweit nicht auf­zuheben, weil der Tenor des Urteils richtig ist. Die Klage ist insoweit vom FG zu Recht abgewiesen worden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 und 2 FGO. Der Kläger trägt die gesamten Kosten des Verfahrens.

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