BFH: Erstmalige Erklärung zur optionalen Vollverschonung von Betriebsvermögen im Rahmen eines Änderungsbescheids
- Die unbefristete Optionserklärung nach § 13a Abs. 8 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes in der Fassung von 2013 ist im Einspruchsverfahren zu berücksichtigen, soweit ihre steuerrechtlichen Auswirkungen nicht über den durch § 351 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) gesetzten Rahmen hinausgehen.
- Die Bindungswirkung nach § 351 Abs. 1 AO hat nicht zur Folge, dass die Verschonung, wenn sie den Änderungsrahmen verlässt, insgesamt zu versagen ist.
ErbStG § 13a Abs. 8
AO § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 351 Abs. 1
BFH-Urteil vom 11.12.2024, II R 44/21 (veröffentlicht am 2.5.2025)
Vorinstanz: FG Münster vom 27.10.2021, 3 K 2817/20 Erb = SIS 22 00 21
I. Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 21.03.2013 übertrug der Vater des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) die folgenden Gesellschaftsanteile mit Wirkung zum 31.12.2012 schenkweise auf den Kläger:
- einen Kommanditanteil an der … GmbH & Co. KG und einen zu deren Sonderbetriebsvermögen gehörenden Geschäftsanteil an der … GmbH,
- einen Kommanditanteil an der … GmbH & Co. KG und einen zu deren Sonderbetriebsvermögen gehörenden Geschäftsanteil an der … GmbH sowie
- einen Kommanditanteil an der … GmbH & Co. KG und zu deren Sonderbetriebsvermögen gehörende Geschäftsanteile an der … [G]mbH und der … GmbH.
Mit Bescheid vom 20.04.2016 setzte der Beklagte und Revisionskläger (Finanzamt ‑‑FA‑‑) gegen den Kläger Schenkungsteuer in Höhe von … € fest. Dabei berücksichtigte das FA die Regelverschonung nach den §§ 13a, 13b des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes in der am 21.03.2013 geltenden Fassung (ErbStG). Der Bescheid erging nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) im Hinblick auf die durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 17.12.2014 ‑ 1 BvL 21/12 (BVerfGE 138, 136, BStBl II 2015, 50) angeordnete Verpflichtung zur gesetzlichen Neuregelung der Verschonung von Betriebsvermögen vorläufig. Einen Vorbehalt der Nachprüfung enthielt er nicht. Ein Einspruch gegen den Bescheid wurde vom Kläger nicht eingelegt.
Am 21.12.2018 erfolgten erstmals gesonderte und einheitliche Feststellungen des Werts der übertragenen Kommanditanteile nach § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Bewertungsgesetzes und des Verwaltungsvermögens nach § 13b Abs. 2a ErbStG auf den 21.03.2013. Der Feststellungsbescheid wurde hinsichtlich der … GmbH & Co. KG am 10.10.2019 geändert. Der Wert des Anteils an der … GmbH & Co. KG wurde mit … €, die Summen der gemeinen Werte des Verwaltungsvermögens mit … € und des jungen Verwaltungsvermögens mit … € festgestellt. Der Wert des Anteils an der … GmbH & Co. KG wurde mit … € und der des Anteils an der … GmbH & Co. KG mit … € festgestellt. Die Summen der gemeinen Werte des Verwaltungsvermögens und des jungen Verwaltungsvermögens betrugen insoweit jeweils … €.
Mit nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO geändertem Schenkungsteuerbescheid vom 13.11.2019 setzte das FA die Steuer gegenüber dem Kläger unter Berücksichtigung der Regelverschonung auf … € herauf.
Mit dem dagegen eingelegten Einspruch gab der Kläger die Erklärung zur optionalen Vollverschonung nach § 13a Abs. 8 ErbStG ab. Das FA wies den Einspruch mit Entscheidung vom 09.09.2020 als unbegründet zurück.
Das Finanzgericht (FG) hat den Schenkungsteuerbescheid vom 13.11.2019 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 09.09.2020 dahingehend geändert, dass die Steuer ‑‑wie im formell bestandskräftigen Ausgangsbescheid vom 20.04.2016‑‑ auf … € festgesetzt wurde, und die Klage im Übrigen abgewiesen. Es hat die Vollverschonung in dem Umfang gewährt, in welchem die Steuer durch den auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO gestützten Änderungsbescheid erhöht worden war. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2022, 135 veröffentlicht.
Mit der Revision macht das FA die Verletzung des § 351 Abs. 1 AO geltend. Mit der Gewährung der Vollverschonung habe das FG die in dieser Norm angeordnete Bindungswirkung missachtet, denn die steuerlichen Folgen der Erklärung zur optionalen Vollverschonung gingen über den durch die Bescheidänderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO gesetzten Änderungsrahmen hinaus. Der Bundesfinanzhof (BFH) habe mit Urteilen vom 09.12.2015 ‑ X R 56/13 (BFHE 252, 241, BStBl II 2016, 967) und vom 20.04.2023 ‑ III R 25/22 (BFHE 280, 393, BStBl II 2023, 823) entschieden, dass die Änderung aufgrund einer Antrags- oder Wahlrechtsausübung nur dann möglich sei, wenn die dadurch zu erzielende Steueränderung den durch die partielle Durchbrechung der Bestandskraft gesetzten Rahmen nicht verlasse. Im Streitfall liege diese Voraussetzung nicht vor, da mit der Erklärung zur optionalen Vollverschonung eine Herabsetzung der Steuer auf 0 € erreicht werden könnte. Die zu erzielende Steueränderung übersteige somit den durch die partielle Durchbrechung der Bestandskraft gesetzten Rahmen. Hinzu komme, dass der Steuerpflichtige durch die Regelung des § 351 Abs. 1 AO die Möglichkeit erhalten solle, innerhalb des Änderungsrahmens materielle Fehler der Steuerfestsetzung zu beseitigen. Die erstmalige Ausübung eines Wahlrechts führe aber zu keiner (nachträglichen) Rechtswidrigkeit der davor erfolgten Steuerfestsetzung, die nunmehr zu korrigieren wäre (Verweis auf das Urteil des FG München vom 28.04.2021 ‑ 4 K 1710/19, EFG 2021, 1491, Rz 27).
Das FA beantragt,
die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Das FG hat zu Recht entschieden, dass die Vollverschonung für die Schenkungsteuer auf Antrag des Klägers in dem Umfang zu gewähren ist, in dem die Steuer in dem angefochtenen Änderungsbescheid vom 13.11.2019 heraufgesetzt wurde, und die Schenkungsteuer in seinem Urteil in dieser Höhe herabgesetzt.
1. Die Schenkung von Beteiligungen an einer KG unterliegt nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG der Schenkungsteuer. Für den Erwerb von Betriebsvermögen sieht § 13a i.V.m. § 13b ErbStG unter bestimmten Voraussetzungen Steuerbefreiungen vor.
a) Die im Streitfall zum Zeitpunkt der Ausführung der Zuwendung am 21.03.2013 anwendbaren Vorschriften der §§ 13a, 13b ErbStG sind nach dem Urteil des BVerfG vom 17.12.2014 ‑ 1 BvL 21/12 (BVerfGE 138, 136, BStBl II 2015, 50) zwar mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes unvereinbar. Das BVerfG hatte jedoch ihre Anwendbarkeit bis zu einer Neuregelung angeordnet, die spätestens bis zum 30.06.2016 zu treffen war. Eine solche wurde durch Art. 1 Nr. 3 und 4 des Gesetzes zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vom 04.11.2016 (BGBl I 2016, 2464, BStBl I 2016, 1202) erst mit Wirkung ab dem 01.07.2016 (Art. 3 dieses Gesetzes) geschaffen.
b) Nach § 13a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 13b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 ErbStG bleibt vorbehaltlich des § 13b Abs. 2 ErbStG unter verschiedenen Voraussetzungen unter anderem der Erwerb eines Anteils an einer Gesellschaft im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu 85 % außer Ansatz (Verschonungsabschlag). Eine solche Gesellschaft ist auch die KG. Nach § 13a Abs. 8 ErbStG kann der Erwerber unwiderruflich erklären, dass die Steuerbefreiung nach den Absätzen 1 bis 7 i.V.m. § 13b ErbStG nach Maßgabe der Bestimmungen in den nachfolgenden Ziffern gewährt wird. Dann tritt nach § 13a Abs. 8 Nr. 4 ErbStG an die Stelle des Prozentsatzes für die Begünstigung von 85 % in § 13b Abs. 4 ErbStG ein Prozentsatz von 100 % (Vollverschonung). Diese Voraussetzungen für die Gewährung der Vollverschonung waren im Streitfall am maßgeblichen Stichtag unstreitig erfüllt.
c) Die Erklärung zur optionalen Vollverschonung von Betriebsvermögen nach § 13a Abs. 8 ErbStG entspricht einem Antragsrecht (vgl. BFH-Urteil vom 26.07.2022 ‑ II R 25/20, BFHE 277, 456, BStBl II 2024, 21, Rz 34). Eine gesetzliche Frist für ihre Abgabe besteht nicht; die Optionserklärung kann unbefristet abgegeben werden. Die Möglichkeit, aufgrund der Erklärung eine Herabsetzung der Schenkungsteuer zu erreichen, wird aber durch das allgemeine verfahrensrechtliche Institut der Bestandskraft und die Regelung des § 351 Abs. 1 AO begrenzt (vgl. BFH-Urteile vom 12.05.2015 ‑ VIII R 14/13, BFHE 250, 64, BStBl II 2015, 806, Rz 11; vom 14.07.2020 ‑ VIII R 6/17, BFHE 268, 538, BStBl II 2021, 92, Rz 19 und vom 20.04.2023 ‑ III R 25/22, BFHE 280, 393, BStBl II 2023, 823, Rz 14).
2. Wird eine Optionserklärung nach § 13a Abs. 8 ErbStG ‑‑wie im vorliegenden Fall‑‑ nicht bis zur Bestandskraft der erstmaligen Schenkungsteuerfestsetzung erklärt, ist sie bei einer Änderung der Steuerfestsetzung zu berücksichtigen, soweit ihre steuerrechtlichen Auswirkungen nicht über den durch § 351 Abs. 1 AO gesetzten Rahmen hinausgehen. Die BFH-Urteile vom 09.12.2015 ‑ X R 56/13 (BFHE 252, 241, BStBl II 2016, 967) und vom 20.04.2023 ‑ III R 25/22 (BFHE 280, 393, BStBl II 2023, 823) enthalten keine hiervon abweichenden Grundsätze.
a) Die ständige Rechtsprechung des BFH lässt die Ausübung von Antrags- oder Wahlrechten, die dem Grunde nach keiner zeitlichen Begrenzung unterliegen, grundsätzlich so lange zu, wie der entsprechende Steuerbescheid nicht formell und materiell bestandskräftig ist. Die Ausübung eines Antrags- oder Wahlrechts ist auch dann zuzulassen, wenn und soweit der Bescheid lediglich partiell noch nicht formell und materiell bestandskräftig ist. Damit werden grundsätzlich auch diejenigen Fälle erfasst, in denen Änderungsbescheide auf der Grundlage einer selbstständigen Änderungsvorschrift ‑‑etwa §§ 172 ff. AO‑‑ die teilweise Durchbrechung der Bestandskraft bewirken (vgl. BFH-Urteil vom 20.04.2023 ‑ III R 25/22, BFHE 280, 393, BStBl II 2023, 823, Rz 16; BFH-Beschluss vom 05.03.2020 ‑ II B 99/18, BFH/NV 2020, 852, Rz 8).
b) Verwaltungsakte, die unanfechtbare Verwaltungsakte ändern, können gemäß § 351 Abs. 1 AO nur insoweit angegriffen werden, als die Änderung reicht, es sei denn, dass sich aus den Vorschriften über die Aufhebung und Änderung von Verwaltungsakten etwas anderes ergibt. Die Vorschrift begrenzt die Anfechtbarkeit und damit auch die durch den Einspruch bewirkte Änderbarkeit eines Änderungsbescheids auf den Umfang der Änderung und stellt damit klar, dass es im Übrigen bei der zuvor eingetretenen Bestandskraft bleibt (vgl. BFH-Urteile vom 26.04.2018 ‑ III R 12/17, BFH/NV 2018, 948, Rz 27 und vom 20.04.2023 ‑ III R 25/22, BFHE 280, 393, BStBl II 2023, 823, Rz 17; BFH-Beschluss vom 05.03.2020 ‑ II B 99/18, BFH/NV 2020, 852, Rz 8).
c) Wird ein nach den §§ 172 ff. AO ergangener Änderungsbescheid angefochten, folgt aus § 351 Abs. 1 AO, dass die Ausübung von Antrags- oder Wahlrechten nur insoweit berücksichtigt werden kann, als die dadurch zu erzielende Steueränderung den durch die partielle Durchbrechung der Bestandskraft gesetzten Rahmen nicht verlässt. Das gilt auch für die Berücksichtigung der Erklärung zur optionalen Vollverschonung nach § 13a Abs. 8 ErbStG. Die Bindungswirkung nach § 351 Abs. 1 AO hat nicht zur Folge, dass die Verschonung, wenn sie den Änderungsrahmen verlässt, insgesamt zu versagen ist; es gilt insoweit kein "Alles-oder-nichts-Prinzip" (vgl. BFH-Beschluss vom 20.01.2005 ‑ II R 56/02, BFH/NV 2005, 1308, unter 1.a; a.A. FG München, Urteil vom 28.04.2021 ‑ 4 K 1710/19, EFG 2021, 1491). § 351 AO normiert nur eine quantitative, aber keine qualitative Änderungssperre (vgl. BFH-Urteil vom 26.04.2018 ‑ III R 12/17, BFH/NV 2018, 948, Rz 29). Gegen die Gewährung der Verschonung im Umfang der Änderung spricht deshalb nicht, dass das Antragsrecht des § 13a Abs. 8 ErbStG nicht partiell ausgeübt werden kann. Es wird nicht der Antrag auf Vollverschonung teilweise gestellt, sondern es werden die steuerrechtlichen Auswirkungen der Antragstellung begrenzt.
d) Der Berücksichtigung einer Optionserklärung im Rahmen des § 351 AO kann ‑‑entgegen dem FA‑‑ nicht entgegengehalten werden, dass die ursprüngliche Steuerfestsetzung keinen materiellen Fehler aufweist, der zu berichtigen wäre. Ein materieller Fehler liegt auch dann vor, wenn erst die nachträgliche, aber gleichwohl zulässige Antragstellung oder Ausübung eines Wahlrechts zu einer materiell unrichtigen Besteuerung führt (vgl. BFH-Urteile vom 03.03.2011 ‑ IV R 35/09, BFH/NV 2011, 2045, Rz 22 und vom 20.04.2023 ‑ III R 25/22, BFHE 280, 393, BStBl II 2023, 823, Rz 18, jeweils zu § 177 Abs. 3 AO; von Wedelstädt, Der AO-Steuer-Berater 2012, 150, 152, m.w.N.; im Ergebnis auch BFH-Urteil vom 27.10.2015 ‑ X R 44/13, BFHE 252, 94, BStBl II 2016, 278, Rz 12, 25; anders wohl BFH-Urteil vom 09.12.2015 ‑ X R 56/13, BFHE 252, 241, BStBl II 2016, 967, Rz 44).
e) Die BFH-Urteile vom 09.12.2015 ‑ X R 56/13 (BFHE 252, 241, BStBl II 2016, 967) und vom 20.04.2023 ‑ III R 25/22 (BFHE 280, 393, BStBl II 2023, 823) enthalten keine hiervon abweichenden Grundsätze. Sie sind jeweils zur Rücknahme eines Antrags auf ermäßigte Besteuerung nach § 34 Abs. 3 EStG ergangen, mit der das Ziel verfolgt wurde, die Ermäßigung in einem anderen Veranlagungszeitraum zu nutzen. Um die Ermäßigung rückgängig zu machen, hätte aber der Änderungsrahmen des § 351 Abs. 1 AO für die daraus folgende Erhöhung der Steuerfestsetzung überschritten werden müssen. Dies hat der BFH abgelehnt. Im Gegensatz dazu geht es im hier zu entscheidenden Streitfall um eine Herabsetzung der Steuerfestsetzung innerhalb des Änderungsrahmens des § 351 Abs. 1 AO.
3. Das FG hat die vorstehenden Grundsätze zutreffend auf den Streitfall angewandt und die Vollverschonung in dem Umfang gewährt, in dem die Steuer durch den auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO gestützten Änderungsbescheid vom 13.11.2019 erhöht worden war. Es hat diesen Bescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 09.09.2020 daher zu Recht dahingehend geändert, dass die Steuer wie im Ausgangsbescheid vom 20.04.2016 auf … € festgesetzt wird.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.