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BFH: Kindergeld für behinderte Kinder; Berücksichtigung eines Teils der Kapitalleistung aus einer Rentenversicherung mit Gewinnbeteiligung (Altvertrag) als Bezug des Kindes im Zuflussjahr

  1. Zu den Bezügen des Kindes gehört der Anteil der Kapitalleistung einer Ren­tenversicherung mit Gewinnbeteiligung (Altvertrag), welcher von der Versiche­rungsgesellschaft erwirtschaftet wurde. Dagegen handelt es sich bei dem Teil der Auszahlung, der auf angesparten Beiträgen beruht, um Vermögen.
  2. Die mangelnde Bestimmung eines Bezuges für Unterhaltszwecke muss sich regelmäßig aus den Umständen objektiv nachvollziehbar ableiten lassen. Allein die Erklärung des Kindergeldberechtigten oder des Kindes, ein Bezug sei nicht für den (gegenwärtigen) Unterhalt bestimmt, führt nicht dazu, dass dieser bei der Ermittlung der Selbstunterhaltsfähigkeit unberücksichtigt bleibt.

EStG § 62 Abs. 1 Satz 1, § 63 Abs. 1 Sätze 1 und 2, § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3

BFH-Urteil vom 15.12.2021, III R 48/20 (veröffentlicht am 28.4.2022)

Vorinstanz: FG München vom 21.7.2020, 12 K 2928/19 = SIS 20 15 01

I. Streitig ist der Kindergeldanspruch für ein volljähriges behindertes Kind, wel­ches die Auszahlung einer einmaligen Kapitalleistung aus einer Rentenversi­cherung mit Gewinnbeteiligung (Altvertrag) wählte und erhielt.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) bezog für ihren im April 1964 geborenen Sohn (W) Kindergeld. Dieser ist seit seiner Geburt behindert. Im Schwerbehindertenausweis sind ein Grad der Behinderung von 100 und die Merkzeichen G und H eingetragen.

W erhielt im Streitzeitraum Juli bis November 2019 eine monatliche Rente we­gen voller Erwerbsminderung in Höhe von 1.025,52 € brutto sowie Pflegegeld und Entlastungsleistungen der Pflegekasse in Höhe von monatlich 853 €. Er hatte Beiträge zur Krankenversicherung in Höhe von 80,50 € und zur Pflege­versicherung in Höhe von 33,84 € zu tragen.

Seit Juni 1983 war W Versicherungsnehmer (und versicherte Person) eines Rentenversicherungsvertrages mit Gewinnbeteiligung, für den damals zu­nächst monatliche Beiträge von 99,40 DM vereinbart waren. Die Beitragszah­lungspflicht endete zum 01.06.2019. Die Beiträge hatte die Klägerin entrich­tet. W erhielt ‑‑statt monatlicher Renten von 330,12 €‑‑ zum 01.06.2019 eine einmalige Kapitalleistung aus dieser Versicherung in Höhe von 77.698,54 €.

W wird von der Klägerin betreut und hat nach den Feststellungen des Finanz­gerichts (FG) im ersten Rechtsgang einen Betreuungsbedarf von 14 Stunden zu je 9 € pro Tag. Im August und November 2019 wandte W jeweils 5 € für Medikamente auf. Für Fahrten zu Arztterminen entstanden ihm Kosten in Höhe von 2,70 € im Juli 2019 sowie jeweils 1,20 € im September und November 2019. W nahm im August 2019 an einer siebentägigen ...freizeit teil.

Mit Bescheid vom 05.06.2019 hob die Beklagte und Revisionsklägerin (Famili­enkasse) die Kindergeldfestsetzung ab 01.07.2019 auf. Den Einspruch der Klägerin wies die Familienkasse mit Einspruchsentscheidung vom 13.11.2019 als unbegründet zurück.

Das FG gab der Klage statt. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, W sei aufgrund seiner Behinderung im Streitzeitraum außerstande gewesen, sich selbst zu unterhalten. Er könne seinen Grundbedarf und behinderungsbeding­ten Mehrbedarf aus eigenen Mitteln nicht vollständig bestreiten. Die Kapital­leistung aus der Versicherung ändere hieran nichts. Bei der Prüfung der dem Kind zur Deckung des Lebensbedarfs zur Verfügung stehenden Mittel sei das Vermögen des Kindes nicht zu berücksichtigen. Die Zahlung der Versicherung stelle lediglich eine Vermögensumschichtung dar. Hätte W die monatliche Ren­te gewählt, hätte er seinen Bedarf gleichfalls nicht vollständig aus eigenen Mit­teln decken können. Zudem sei die zum 01.06.2019 erfolgte Auszahlung nicht im Streitzeitraum zu berücksichtigen, auch eine Verteilung auf die Folgemona­te komme nicht in Betracht.

Mit der Revision rügt die Familienkasse die Verletzung materiellen Bundes­rechts.

Die Familienkasse beantragt,
das Urteil des FG vom 21.07.2020 ‑ 12 K 2928/19 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision der Familienkasse ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des an­gefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Rechtssache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).

Das FG hat zu Unrecht angenommen, dass es sich bei der Auszahlung der Ver­sicherungssumme um eine reine Vermögensumschichtung handelt, und ver­kannt, dass nach der Senatsrechtsprechung das Monatsprinzip bei außeror­dentlichen Zuflüssen durchbrochen wird. Es hat deshalb nicht festgestellt, in welcher Höhe in der dem behinderten Kind zugeflossenen Versicherungssum­me Bezüge enthalten waren, die es in die Lage versetzt haben, sich in den streitgegenständlichen Monaten i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 des Einkom­mensteuergesetzes in der im Streitzeitraum geltenden Fassung (EStG) selbst zu unterhalten. Die Sache ist nicht spruchreif.

1. Gemäß § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Sätze 1 und 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG besteht für ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, ein An­spruch auf Kindergeld, wenn es wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Voraussetzung ist, dass die Behinderung vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetreten ist, sofern nicht aufgrund der Übergangsregelung des § 52 Abs. 40 Satz 5 des Ein­kommensteuergesetzes i.d.F. des Steueränderungsgesetzes 2007 vom 19.07.2006 (BGBl I 2006, 1652), inzwischen § 52 Abs. 32 Satz 1 EStG, wei­terhin die vorher geltende Altersgrenze (Vollendung des 27. Lebensjahres) maßgeblich ist.

Das Tatbestandsmerkmal "außerstande ist, sich selbst zu unterhalten" ist im Gesetz nicht näher umschrieben. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundes­finanzhofs (BFH) ist ein behindertes Kind dann außerstande, sich selbst zu un­terhalten, wenn es seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten kann (z.B. BFH-Ur­teil vom 15.10.1999 ‑ VI R 183/97, BFHE 189, 442, BStBl II 2000, 72, unter 1.b, und Senatsurteile vom 05.02.2015 ‑ III R 31/13, BFHE 249, 144, BStBl II 2015, 1017, Rz 13, sowie vom 13.04.2016 ‑ III R 28/15, BFHE 253, 249, BStBl II 2016, 648, Rz 10, m.w.N.).

Die Fähigkeit des Kindes zum Selbstunterhalt ist anhand eines Vergleichs zweier Bezugsgrößen zu prüfen, nämlich des gesamten existenziellen Lebens­bedarfs des Kindes einerseits und seiner finanziellen Mittel andererseits (z.B. Senatsurteile in BFHE 253, 249, BStBl II 2016, 648, Rz 10; vom 19.01.2017 ‑ III R 44/14, BFH/NV 2017, 735, Rz 29, und vom 27.11.2019 ‑ III R 28/17, BFHE 268, 13, BStBl II 2021, 807, Rz 16).

Zu den finanziellen Mitteln des behinderten volljährigen Kindes gehören seine Einkünfte und Bezüge (Senatsurteil in BFHE 253, 249, BStBl II 2016, 648, Rz 15, m.w.N.), d.h. grundsätzlich alle Mittel, die zur Deckung seines Lebens­unterhalts geeignet und bestimmt sind und ihm im maßgeblichen Zeitraum zufließen, nicht jedoch sein Vermögen.

a) Der Begriff der Einkünfte wird durch § 2 Abs. 2 EStG definiert. Er umfasst den Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb und selbstständi­ger Arbeit sowie den Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten aus nichtselbstständiger Arbeit, Kapitalvermögen, Vermietung und Verpachtung und sonstigen Einkünften (Wendl in Herrmann/Heuer/Raupach ‑‑HHR‑‑, § 32 EStG Rz 118).

b) Bezüge sind alle Zuflüsse in Geld oder Naturalleistungen, die nicht im Rah­men der einkommensteuerrechtlichen Einkünfteermittlung erfasst werden (vgl. z.B. Senatsurteil vom 28.05.2009 ‑ III R 8/06, BFHE 225, 141, BStBl II 2010, 346, unter II.1.b, und BFH-Urteil vom 20.03.2013 ‑ XI R 51/10, BFH/NV 2013, 1088, Rz 16), also nicht steuerbare oder für steuerfrei erklärte Einnahmen (BFH-Urteil vom 26.09.2000 ‑ VI R 85/99, BFHE 192, 485, BStBl II 2000, 684, unter 2.b, und Senatsurteil vom 17.12.2009 ‑ III R 74/07, BFHE 228, 72, BStBl II 2010, 552, unter II.2.).

Da es festzustellen gilt, ob das Kind sich aus eigenen Mitteln unterhalten kann oder ob es auf Mittel des Kindergeldberechtigten angewiesen ist, sind als Ein­nahmen auch laufende oder einmalige Geldzuwendungen von dritter Seite an­zusehen, soweit sie nicht der Kapitalanlage dienen, sondern den Unterhaltsbe­darf des Kindes decken und damit die Eltern bei ihren Unterhaltsleistungen entlasten sollen (Senatsurteil in BFHE 268, 13, BStBl II 2021, 807, Rz 27). Vermögensübertragungen von Eltern auf ihre Kinder sind bei der Ermittlung der Bezüge des Kindes außer Betracht zu lassen; als Bezüge anzusetzen sind allein Zuflüsse "von außen", sofern sie zur Finanzierung des Unterhalts oder der Berufsausbildung geeignet oder bestimmt sind (Senatsurteil vom 04.08.2011 ‑ III R 22/10, BFHE 234, 329, BStBl II 2012, 337, Rz 11 zur früheren Grenzbetragsregelung in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG).

Für die Eignung genügt es, dass der Zufluss entsprechend verwendet werden kann. Wie er tatsächlich verwendet wird, spielt keine Rolle.

Die mangelnde Bestimmung des Zuflusses für Unterhaltszwecke muss sich re­gelmäßig aus den Umständen objektiv nachvollziehbar ableiten lassen, wie dies etwa bei einer Schmerzensgeldrente (Senatsurteil in BFHE 253, 249, BStBl II 2016, 648, Rz 16 und 19 bis 22) oder bei Sozialversicherungsbeiträ­gen (Senatsurteil vom 19.10.2006 ‑ III R 55/06, BFH/NV 2007, 420, unter II.1.) der Fall ist. Sie ergibt sich nicht allein daraus, dass der Kindergeldbe­rechtigte oder das Kind erklären, der Zufluss in Geld oder Geldeswert sei nicht für den (gegenwärtigen) Lebensunterhalt bestimmt, denn andernfalls hätten es die Beteiligten stets in der Hand, Einkünfte oder Bezüge durch eine ent­sprechende Erklärung der Berücksichtigung zu entziehen. Hingegen kann eine Erklärung von dritter Seite, eine Geldzuwendung sei zur Kapitalanlage be­stimmt, ausreichen (BFH-Urteil vom 28.01.2004 ‑ VIII R 21/02, BFHE 205, 196, BStBl II 2004, 555, unter II.2., und Senatsurteil in BFHE 268, 13, BStBl II 2021, 807, Rz 27).

c) Das Vermögen des behinderten Kindes gehört nicht zu den finanziellen Mit­teln, die es für den Selbstunterhalt einzusetzen hat. Hätte der Gesetzgeber die Einbeziehung von Kindesvermögen im Rahmen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG beabsichtigt, hätte es nahegelegen, dies ‑‑wie in § 33a Abs. 1 Satz 4 EStG geschehen‑‑ in der Vorschrift selbst unmissverständlich zum Ausdruck zu bringen und zugleich zu regeln, unter welchen Voraussetzungen das Vermögen berücksichtigt werden soll (vgl. BFH-Urteil vom 19.08.2002 ‑ VIII R 51/01, BFHE 200, 212, BStBl II 2003, 91, unter II.4.a). Mangels sachlicher Änderung von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG ist auch nach Wegfall der ‑‑ausschließlich die Höhe der Einkünfte und Bezüge des Kindes berücksichtigenden‑‑ Grenzbe­tragsregelung (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG i.d.F. vom 07.12.2011) auf die Ein­künfte und Bezüge des Kindes abzustellen (Senatsurteil in BFHE 253, 249, BStBl II 2016, 648, Rz 15, m.w.N.).

Somit sind Einkünfte und Bezüge einerseits und Vermögen sowie Vermögens­umschichtungen andererseits voneinander abzugrenzen. Während Einkünfte und Bezüge im Grundsatz alle finanziellen Mittel sind, die jemandem im maß­geblichen Zeitraum zusätzlich zufließen, die er also wertmäßig dazu erhält, ist Vermögen das, was er vor diesem Zeitraum bereits hatte (vgl. Urteil des Bun­dessozialgerichts ‑‑BSG‑‑ vom 30.09.2008 ‑ B 4 AS 57/07 R, Sozialrecht ‑‑SozR‑‑ 4‑4200 § 11 Nr. 16, Rz 18).

d) Das FG ist im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass reine Vermö­gensumschichtungen keine Bezüge sind. Dabei hat es jedoch verkannt, dass Zahlungen auf eine bestehende Forderung eine Sonderstellung einnehmen. Obwohl sie eine Vermögensumschichtung beinhalten, soweit durch die Zahlung eine Forderung erlischt, werden sie nicht stets als reine Vermögensumschich­tung behandelt. Andernfalls wären alle Zahlungen ‑‑auch Lohnzahlungen, Ren­tenzahlungen usw.‑‑, auf die das behinderte Kind einen Anspruch hat, als Ver­mögensumschichtungen zu behandeln und nicht als Einkünfte und Bezüge an­zusetzen. Das wäre mit dem Sinn und Zweck des Gesetzes nicht vereinbar.

Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) und das BSG gehen dementspre­chend davon aus, dass bei der Erfüllung einer Forderung durch Auszahlung das Schicksal der Forderung grundsicherungs- bzw. sozialhilferechtlich grundsätz­lich nicht interessiert, soweit dort Einnahmen und Vermögen voneinander ab­zugrenzen sind (BVerwG-Urteil vom 18.02.1999 ‑ 5 C 35/97, BVerwGE 108, 296, Rz 17; BSG-Urteile vom 16.12.2008 ‑ B 4 AS 48/07 R, Fürsorgerechtliche Entscheidungen der Verwaltungs- und Sozialgerichte 60, 546, Rz 11, und in SozR 4‑4200 § 11 Nr. 16, Rz 17). Das gilt allerdings nicht für Fälle, in denen mit bereits erlangten Einkünften Vermögen angespart wurde, z.B. bei Banken, Sparkassen oder Versicherun­gen. Denn andernfalls wertete man den Rückgriff auf Erspartes unzulässig er­neut als Einkommen (BVerwG-Urteil in BVerwGE 108, 296, Rz 17, und BSG-Urteil in SozR 4‑4200 § 11 Nr. 16, Rz 17).

Dem schließt sich der Senat in Bezug auf die Prüfung der Selbstunterhaltsfä­higkeit eines behinderten Kindes gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG an.

2. Nach diesen Maßstäben hält das Urteil des FG einer revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Zahlung der Versicherung insgesamt eine reine Vermögensumschichtung dar­stellt und deshalb nicht zu den finanziellen Mitteln gehört, die im Streitzeit­raum Juli bis November 2019 in die Prüfung der Fähigkeit eines behinderten Kindes zum Selbstunterhalt einzubeziehen sind.

a) Zu unterscheiden ist zwischen der Auszahlung der Beträge, die das Kind oder der Kindergeldberechtigte zuvor angespart haben, denn insoweit handelt es sich um die Auszahlung von Vermögen. Hingegen handelt es sich bei den Beträgen, welche die Versicherung erwirtschaftet hat, um bei der Selbstunter­haltsfähigkeit zu berücksichtigende Bezüge, vergleichbar mit Zinsen, die eine Bank mit Sparguthaben erwirtschaftet. Dabei spielt es, wie ausgeführt, keine Rolle, dass W einen Anspruch auf die Versicherungssumme hatte, der durch Auszahlung erloschen ist; allein dadurch, dass der Zufluss mit dem Erlöschen einer Forderung verbunden ist, wird die Leistung der Versicherung nicht zu einer bei der Prüfung der Selbstunterhaltsfähigkeit eines behinderten Kindes irrelevanten Vermögensumschichtung.

aa) Den von der Versicherung erwirtschafteten Betrag hat W weder angespart noch wurde er ihm von der Klägerin übertragen. Er ist zur Deckung des Le­bensbedarfs des Kindes geeignet und bestimmt; es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass er keine Entlastung der kindergeldberechtigten Mutter bewir­ken könnte (vgl. dazu Senatsurteil in BFH/NV 2007, 420, unter II.1.). Für die Eignung zur Deckung des Lebensbedarfs genügt es, dass der Betrag entspre­chend verwendet werden kann. Wie er tatsächlich verwendet wird oder ob er für die Zeit nach dem Tod der Klägerin angespart wird, wie sie vorträgt, spielt keine Rolle. Diese Erklärung der Klägerin rechtfertigt für sich genommen auch nicht die Annahme, die Zahlung der Versicherung sei nicht zur Deckung des Lebensbedarfs des W bestimmt. Objektive Umstände, aus denen das Fehlen einer solchen Bestimmung abgeleitet werden kann, liegen im Streitfall nicht vor.

Das BSG-Urteil vom 10.08.2016 ‑ B 14 AS 51/15 R (SozR 4‑4200 § 12 Nr. 26, SozR 4‑4200 § 11 Nr. 76) steht der Berücksichtigung des von der Versiche­rung erwirtschafteten Teils der Versicherungsleistung als Bezug nicht entge­gen. Das BSG hat in diesem Urteil die Auszahlung aus einem kapitalbildenden Lebensversicherungsvertrag nicht in Einkommen und Vermögen aufgeteilt, sondern als Einheit angesehen und insgesamt dem Vermögen zugeordnet, weil das Zweite Buch Sozialgesetzbuch ‑‑anders als das EStG‑‑ keine differenzie­renden Regelungen enthalte, die eine Aufteilung für Zwecke der Grundsiche­rung ermöglichten. Die Annahme, eine Aufteilung der Kapitalleistung aus ei­nem Rentenversicherungsvertrag sei nicht möglich, ist auf das EStG nicht übertragbar.

Gleiches gilt für das BFH-Urteil vom 01.07.2021 ‑ VIII R 4/18 (BFHE 273, 293, BFH/NV 2021, 1558). Darin hat der BFH entschieden, dass Rentenzahlungen aus einem vor dem 01.01.2005 abgeschlossenen begünstigten Versicherungs­vertrag mit Kapitalwahlrecht nicht zwei verschiedenen Einkunftsarten (Ein­künfte aus Kapitalvermögen oder sonstige Einkünfte) zuzuordnen seien, son­dern als Einkünfte aus Kapitalvermögen insgesamt grundsätzlich nicht der Be­steuerung unterlägen. Der BFH ging zwar davon aus, dass die aus verschiede­nen Bestandteilen (Garantierente, Überschussbeteiligung aus der Ansparpha­se) bestehenden Rentenbezüge auf einem einheitlichen Versicherungsvertrag beruhten und die Überschussbeteiligungen rechtlich und wirtschaftlich un­trennbare Bestandteile des verwendeten Vertragstyps seien. Die damit und mit Praktikabilitätserwägungen begründete einheitliche Behandlung der Renten­zahlungen in Bezug auf die Einkunftsart hat jedoch keine Auswirkungen für die Abgrenzung von Einkünften und Bezügen zur Feststellung der Fähigkeit eines behinderten Kindes zum Selbstunterhalt. Denn auch bei Sozialversicherungs­renten ist zwischen verschiedenen Anteilen (Ertragsanteil und Kapitalanteil) zu unterscheiden und gehört der Ertragsanteil zu den Einkünften und der Kapital­anteil zu den Bezügen (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 14.11.2000 ‑ VI R 52/98, BFHE 193, 453, BStBl II 2001, 489, unter 2.a, und Senatsurteil vom 09.02.2012 ‑ III R 73/09, BFHE 236, 407, BStBl II 2012, 463, Rz 11).

bb) Nicht zu berücksichtigen ist der Kapital- oder Sparanteil der Versiche­rungsleistung. Insoweit liegt eine Vermögensumschichtung vor und es fehlt an einem Zufluss "von außen". Außerdem wird ‑‑da die Klägerin dem W die Mittel für die Beitragszahlungen zur Verfügung gestellt hat‑‑ dem Grundsatz Rech­nung getragen, dass Vermögensübertragungen des Kindergeldberechtigten oder der Eltern auf das Kind bei der Ermittlung der Bezüge des Kindes außer Betracht zu lassen sind.

Soweit die Zahlungen der Klägerin auf Abschlusskosten o.Ä. entfielen, handelt es sich zwar nicht um Sparanteile, sondern um Aufwendungen, die im Zusam­menhang mit dem Zufluss der Bezüge stehen; diese sind jedoch gleichfalls von den Bezügen abzuziehen.

b) Der von der Versicherung erwirtschaftete Teil der im Juni 2019 ‑‑und damit außerhalb des Streitzeitraums‑‑ ausgezahlten Versicherungsleistung kann als Bezug im Streitzeitraum zu berücksichtigen sein.

aa) Die Betrachtung der Fähigkeit des Kindes zum Selbstunterhalt ist grund­sätzlich monatsbezogen vorzunehmen. Dabei sind die Einkünfte und Bezüge nach dem Zuflussprinzip des § 11 EStG zu erfassen, soweit für Gewinneinkünf­te nicht das Realisationsprinzip gilt (Senatsurteil vom 11.04.2013 ‑ III R 35/11, BFHE 241, 499, BStBl II 2013, 1037, Rz 15, m.w.N.).

(1) Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH sind Einnahmen zugeflossen, sobald der Steuerpflichtige wirtschaftlich über sie verfügen kann. Geldbeträge fließen dem Steuerpflichtigen in der Regel dadurch zu, dass sie bar ausgezahlt oder einem Konto des Empfängers bei einem Kreditinstitut gutgeschrieben werden. Ebenso kann eine Gutschrift in den Büchern des Verpflichteten den Zufluss bewirken, wenn in der Gutschrift nicht nur das buchmäßige Festhalten einer Schuldverpflichtung zu sehen ist, sondern darüber hinaus zum Ausdruck gebracht wird, dass der Betrag dem Berechtigten von nun an zur Verwendung zur Verfügung steht. Allerdings muss der Gläubiger in der Lage sein, den Leis­tungserfolg ohne weiteres Zutun des im Übrigen leistungsbereiten und leis­tungsfähigen Schuldners herbeizuführen. Ein Zufluss kann ferner durch die Vereinbarung zwischen Schuldner und Gläubiger bewirkt werden, dass ein Be­trag fortan aus einem anderen Rechtsgrund geschuldet sein soll. In dieser Ver­einbarung kann eine Verfügung des Gläubigers über die bisherige Forderung liegen, die einkommensteuerrechtlich so zu werten ist, als ob der Schuldner die Altschuld durch tatsächliche Zahlung beglichen und der Gläubiger den ver­einnahmten Betrag infolge des neu geschaffenen Verpflichtungsgrundes dem Schuldner sofort wieder zur Verfügung gestellt hätte (vgl. BFH-Urteil vom 11.02.2014 ‑ VIII R 25/12, BFHE 244, 406, BStBl II 2014, 461, Rz 24 f., m.w.N.; vgl. auch BVerwG-Urteil in BVerwGE 108, 296, Rz 17 a.E.).

(2) Ausnahmen von dem im Kindergeldrecht geltenden Monatsprinzip, das auf in etwa gleichbleibende Verhältnisse zugeschnitten ist, gelten z.B. für jährlich wiederkehrende Einnahmen in Form von Sonderzahlungen wie Weihnachts- oder Urlaubsgeld (vgl. BFH-Urteil vom 24.08.2004 ‑ VIII R 83/02, BFHE 207, 244, BStBl II 2007, 248, unter II.1.e) und für Nachzahlungen. Eine für einen vergangenen Zeitraum geleistete Nachzahlung ist weder ausschließlich im Zu­flussmonat noch in den vorangegangenen Monaten zu berücksichtigen; sie ist vielmehr auf den Zuflussmonat und die restlichen Monate des Zuflussjahres zu verteilen (BFH-Urteil vom 04.11.2003 ‑ VIII R 43/02, BFHE 204, 120, BStBl II 2010, 1046, unter II.3. zur Nachzahlung einer Waisenrente, und Senatsurteil vom 08.08.2013 ‑ III R 30/12, BFH/NV 2014, 498, Rz 19 zur Nachzahlung von Arbeitslosengeld II; a.A. BFH-Urteil in BFH/NV 2013, 1088 zur Nachzahlung von Grundsicherung bei Erwerbsminderung). Wird eine solche Nachzahlung, die zum Wegfall der Bedürftigkeit führt, im Laufe des Monats ausbezahlt, wirkt sie sich erst ab dem auf den Zuflussmonat folgenden Monat kindergeldschäd­lich aus (vgl. BFH-Urteile in BFHE 204, 120, BStBl II 2010, 1046, unter II.2.; vom 23.02.2012 ‑ V R 39/11, BFH/NV 2012, 1584, Rz 17, und in BFH/NV 2013, 1088, Rz 14; Senatsurteil in BFHE 241, 499, BStBl II 2013, 1037, Rz 18).

Dementsprechend ist es angemessen, auch einmalige Bezüge auf den Zu­flussmonat und die restlichen Monate des Veranlagungszeitraums zu verteilen.

bb) Das FG hat seine abweichende Auffassung zu Unrecht ausschließlich am Begriff der "Nachzahlung" festgemacht. Dies ist nicht der einzige Durchbre­chungstatbestand des im Kindergeldrecht geltenden Monatsprinzips. Es ist über die bereits genannten Fallgruppen hinaus z.B. auch anerkannt, dass ein nicht monatlich anfallender notwendiger behinderungsbedingter Mehrbedarf ‑‑z.B. geschätzte Fahrtkosten für ca. sechs Arztbesuche im Jahr‑‑, der bei ei­ner vorausschauenden Bedarfsplanung vorhersehbar ist, auf einen angemes­senen Zeitraum zu verteilen und mit einer monatlichen Durchschnittsbelastung anzusetzen ist (vgl. BFH-Urteil vom 24.08.2004 ‑ VIII R 59/01, BFHE 207, 237, BStBl II 2010, 1048, unter II.1.; HHR/Wendl, § 32 EStG Rz 118).

3. Das angefochtene Urteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als rich­tig dar (§ 126 Abs. 4 FGO).

4. Die Streitsache ist nicht spruchreif und wird an das FG zurückverwiesen.

Das FG wird im zweiten Rechtsgang zu ermitteln haben, in welchem Umfang dem Kind ein Bezug zugeflossen ist, der sich im streitgegenständlichen Zeit­raum kindergeldschädlich auswirken kann.

Dabei ist der Sparanteil, welcher sich aus den eingezahlten Beträgen speist, von der Versicherungssumme abzuziehen. Hierbei handelt es sich nach den Grundsätzen des abgekürzten Zahlungswegs um Sparleistungen des W, auch wenn die Beträge von der Klägerin an die Versicherung überwiesen worden sind. Die Mutter hat dem Kind Geldbeträge in Höhe der Versicherungsbeiträge zugewendet, die das Kind der Versicherung schuldete (vgl. BFH-Urteil vom 22.10.2014 ‑ II R 26/13, BFHE 247, 456, BStBl II 2015, 239, Rz 16 und 18). Soweit in den danach von W aufgewandten Beiträgen auch Abschluss- oder Verwaltungskosten bzw. ähnliche Aufwendungen enthalten waren, wären sie gleichfalls abzugsfähig, da die Pauschale von 15 € pro Monat nur in Ansatz zu bringen ist, soweit nicht höhere Aufwendungen, die im Zusammenhang mit dem Zufluss der entsprechenden Einnahmen stehen, entstanden sind. Im zweiten Rechtsgang ist somit auch festzustellen, ob W entsprechende Aufwen­dungen hatte, andernfalls sind von den Bezügen pauschal 15 € pro Monat ab­zuziehen (vgl. Senatsurteile in BFH/NV 2014, 498, Rz 22, und in BFHE 268, 13, BStBl II 2021, 807, Rz 22 und 25).

Im Streitzeitraum können zudem nur Bezüge kindergeldschädlich sein, die W nicht bereits in einem früheren Veranlagungszeitraum zugeflossen sind. Dies kommt in Betracht, wenn in der Vergangenheit fällige und liquide Forderungen bewusst nicht geltend gemacht, sondern angespart wurden (vgl. BVerwG-Ur­teil in BVerwGE 108, 296, Rz 17) oder Zinsen und Überschüsse mit zu zahlen­den Beiträgen verrechnet wurden (vgl. etwa Schreiben des Bundesministeri­ums der Finanzen vom 01.10.2009 ‑ IV C 1‑S 2252/07/0001, BStBl I 2009, 1172, Rz 13 ff., 45 f.). Das FG wird die entsprechenden Feststellungen nach­zuholen haben.

Der danach verbleibende Teil der im Juni 2019 ausgezahlten Versicherungs­leistung ist auf den Zuflussmonat und die folgenden Monate des Zuflussjahres zu verteilen.

5. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.

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  • „Ich möchte nicht versäumen, Sie für die ‘SteuerMail’ zu loben. Die Aktualität und die Auswahl der Themen ist wirklich sehr gut.“

    Frank Zoller, Rechtsanwalt und Steuerberater, 75179 Pforzheim

  • „Sie haben offensichtlich die Bedürfnisse des steuerberatenden Berufs bei seiner Arbeit richtig eingeschätzt. Die Zuordnung der verschiedenen Dokumente zur jeweiligen Rechts-Vorschrift ist schlichtweg genial. Auch der Hinweis auf weitere Kommentare und Aufsätze ist außerordentlich wertvoll.“

    Willi Besenhart, Steuerberater, 81739 München

  • "Es macht wirklich Spaß mit Ihrer Datenbank zu arbeiten."

    Robert Kochs, Steuerberater, 52074 Aachen

  • "Ich bin sehr zufrieden. Die Datenbank ist äußerst hilfreich, Preis-Leistungsverhältnis stimmt."

    Erika Dersch, Steuerberaterin, 82431 Kochel am See

  • "Bin von Anfang an begeisterter Anwender und möchte SIS nicht mehr missen."

    Harald Dörr, Steuerberater, 63571 Gelnhausen

  • "Die SIS-Datenbank ist hervorragend; m.E. besser als die von den Finanzbehörden in BW verwendete Steuerrechtsdatenbank."

    Wolfgang Friedinger, 89077 Ulm

  • "Sehr gut ist die SteuerMail mit den Anlagen und die Internetseite mit den aktuellen Themen!"

    Karin Pede, IHR-ZIEL.DE GmbH, 91320 Ebermannstadt

  • "Mit Ihrer SIS-Datenbank bin ich seit Jahren sehr glücklich, hat mir schon sehr viel geholfen und der Preis ist nach wie vor sehr zivil für diese feine Geschichte."

    G. Grisebach, Steuerberaterin

  • "Auf vieles kann man verzichten - auf SIS niemals! Herzlichen Glückwunsch zur aktuellen SIS-Datenbank, vielen Dank für Ihren äußerst aktuellen Informations-Service"

    Friedrich Heidenberger, Steuerberater, 90530 Wendelstein

  • "Ihre Datenbank ist konkurrenzlos benutzerfreundlich."

    Godehard Wedemeyer, 47807 Krefeld

  • "Ich bin sehr zufrieden - rundum ein Lob von meiner Seite. Ich nutze die SIS-Datenbank schon seit vielen Jahren und finde sie sehr, sehr gut."

    Reinhard Geiges, Finanzbeamter, 70173 Stuttgart

  • "Herzlichen Dank für die schnelle Antwort. Das funktioniert, wie alles bei Ihnen, wunderbar. An dieser Stelle mal ein großes Lob an das gesamte Team. Ich bin wirklich froh, dass es Sie gibt."

    Uwe Lewin, Geschäftsführer Exacta Steuerberatungs GmbH, 07546 Gera

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  • Online-Datenbank schon ab 32,00 € inkl. USt

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